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Menschliche Existenz, Freiheit und Glück nur mit Technik möglich?

rola

Meister vom Königlichen Gewölbe
2. September 2011
1.462
Ein enger Vorfahr von mir flüchtete Anfang Mai 1945, wahrscheinlich am 9.5., wo er gerade von den Russen gefangen genommen wurde, von Prag nach Lodz (Litzmannstadt) in Zentralpolen. Zu Fuß. Einige Hundert km. Er schlief in Scheunen. Aß händeweise blanken Zucker aus einem Sack. Dieser Zucker hat ihn wohl vor dem Hungertod gerettet ..... Überleben in höchster Not.
Dieses Szenario ist keinem mehr zu wünschen. Aber meine Frage ist auch eine andere.
Können wir so was überhaupt noch: Ohne die ganzen Wohlstandutensilien und elektronischer Gerät im Freien überleben? Oder banaler: Nimm mir das Feuerzeug, nimm mir das Handy und ich bin hilflos und dem Hunger- und Erfrierungstod ausgesetzt?
Vielleicht ein fiktives Szenario, kann aber auch dem Autotourist passieren, der irgendwo fern aller Zivilisation unterwegs ist. Seine Freiheitsstreben kann leicht in einem existenzbedrohenden Zustand münden. (Ein Goldsucher in Alaska um 1890 wäre in seiner Freiheit wahrscheinlich gar nicht eingeschränkt gewesen.). Wir können uns durch Technik leicht in höchste Gefilde der Freiheit katapultieren und und ohne Technik leicht in existenzbedrohende Zustände kommen.

Das beinhaltet auch eine andere Frage: Wie stark sinkt mein "gefühltes" Lebensniveau, wenn mir bestimmte Dinge abhanden kommen, 1,2 oder 3 wertvoll gewordene Objekte oder vielleicht noch mehr? Wenn mir beispielsweise ein Auto fehlt, ein Fernseher, oder ein Handy oder gar fließendes (warmes) Wasser aus der Dusche ? - Fehlt es mir dann wirklich etwas ? Mindert es mein Glück oder meine Freiheit, wenn sich die persönliche Mobilität und Verfügbarkeit reduziert.
Ein "altmodisches Szenario": Ich denke hierbei an die Zeit vor 150 Jahren, nehmen wir einen zufriedenen Lehrer, der mit seiner Petroleumlampe samt Ehefrau und Kinder abends Geschichten vorlas und sonntags Ausflüge zu Fuß oder mit der Eisenbahn unternahm
Nun ein weitverbreitetes modernes Szenario: Ein Wohlstandsbürger vergleicht sich gerne mit anderen Wohlstandsbürgern, die tatsächliche Wohlstands-Differenz nach unten wurmt ihn, allein die Möglichkeit macht ihm angst. Er besieht die Welt gerne mit einem Smartphone, die Natur ist zu "langweilig", virtuelle Freunde gibt es zu Hunderten ...
Natürlich pladiere ich nicht für den einen Weg, jeder Mensch sollte aber "MISCHEN". Zu jedem Technik-Abenteuer gibt es ein altmodisches Pendant.
 

mmkretsch

Erhabener auserwählter Ritter
17. Mai 2008
1.113
Hallo.
Technik, ganz grundsätzlich als Nutzbarmachung der Umwelt verstanden, kann zum Erreichen der in der Überschrift aufgeführten Dinge genutzt werden oder diese eben auch verhindern/zerstören. Den Unterschied macht meiner Meinung nach weniger die Menge an verwendeter Technik, sondern die Wertmaßstäbe, die für eine Beurteilung der Folgen angelegt werden. Jede Befähigung zum Handeln (also auch Technik) führt in sich auch die Frage nach "gut", "richtig" oder "falsch". Soviel erstmal zur Technik ...

Gruß
mmkretsch
 

Dirtsa

Meister vom Königlichen Gewölbe
15. Januar 2011
1.314
Wer sich an der ihm zur Verfügung stehenden Techniken und ihren Möglichkeiten freuen kann, wird sie als eine Möglichkeit sehen, Glück zu empfinden. Das Empfinden macht das Glück aus, nicht die Technik.

Glück ist ein innerer Wohlfühlzustand, eine Frage der Wahrnehmung und Haltung, entspringt der Neigung oder Fähigkeit, Dinge positiv zu sehen und befähigt zu innerer Freiheit.

Glück als Disposition, durchlebte Situationen und Lebensbedingungen auch positiv zu interpretieren, braucht kein technisiertes Umfeld. Technik kann das Leben leichter, bequemer und sicherer machen. Ohne die Fähigkeit, diese Leichtigkeit auch empfinden und schätzen zu können, trägt sie nicht zu Glück und Freiheit bei. Viele Optionen zu haben, kann Zufriedenheit auch senken.

Ohne den Kontrast, ohne das Wissen oder die Erfahrung auch von Unglück , ohne schwierige Zeiten, halte ich es für für schwierig, Glück sinnhaft und dankbar zu verstehen. Das bringt das Leben so mit sich, erstrebenswert ist es nicht.
Andererseits, wer nur im Überlebensmodus, im Unglück, im Mangel und in der Existenzbedrohung lebt, dessen Schmerz keine Ruhe gibt, wird nicht viel Schönes sehen und erleben können, was ihm täglich widerfährt. Auch das kann Technik nicht kompensieren. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, kann auch Freiheit nicht gedeihen.

Glückliche Gedanken entstehen aus einem Empfinden der Fülle oder zumindest Pausen des Mangels heraus und ist subjektiv. Das Streben nach Glück muss man sich auch erlauben können, hat mit inneren oder äußeren Glaubenssätzen zu tun, mehr als mit dem Vorhandensein von Rädern oder Steckdosen.

Beides, die positiven und negativen Pole, halte ich sowohl in einem hoch- technisierten, als auch in einem minimal technisierten Umfeld für möglich.
 
Zuletzt bearbeitet:

rola

Meister vom Königlichen Gewölbe
2. September 2011
1.462
mmkretsch schrieb:
Technik, ganz grundsätzlich als Nutzbarmachung der Umwelt verstanden, kann zum Erreichen der in der Überschrift aufgeführten Dinge genutzt werden oder diese eben auch verhindern/zerstören.

Da gehe ich mit. Wir begreifen die Natur als Ausbeutungsobjekt, was zu gewaltigen Umweltfolgen führen kann, etwa Klimaerwärmung oder verseuchte Böden.
Doch auch für uns selbst, ist es gefährlich. Ich will nochmal mal ein Bild bemühen. - Wir alle sitzen auf einem hohen Berg, nennen wir ihn einfach "Technik", unten ist die Natur. Ist der Abstieg von diesen Berg für uns überhaupt noch möglich oder gefährlich, weil wir verweichlicht sind. Gefällt uns dieser Hochsitz so gut, dass ein Abstieg zu unbequem geworden ist? Wir bekommen zwar mitunter eine Ahnung, was Naturidelle und Kampf des Stärkeren in der Natur bedeutet .Wir steigen vom Berg aber nicht physisch, sondern virtuell qua Mattscheibe. Vielleicht aus ehrliche Neugierde, vielleicht aber nur aus Langweile (dann aber nur kurz bis zum nächsten "Highlight".) Alles ist bequem, irgendwie surreal, bis es uns langweilt. Wir umgeben uns mit einem audio-visuellen Grundrauschen, generiert durch hochmoderne Technik.
 

mmkretsch

Erhabener auserwählter Ritter
17. Mai 2008
1.113
Hallo Dirtsa und Rola.
Um es mal ebenso lyrisch zu formulieren: Ich finde, wir sitzen auf einem Berg aus schlechten/ falschen Technikanwendungen und erreichen das Meer aus Möglichkeiten der positiven Nutzung nicht mehr. Der dafür verantwortliche Wertmaßstab lautet: Profitsteigerung über alles. Damit wird letztendlich "menschliche Existenz, Freiheit und Glück" zerstört werden.
Die allgemeine Vorstellung von dem, was unter menschlicher Existenz, Freiheit und Glück zu verstehen ist, wird bis dahin aber bestimmt noch einige sehr verzerrende Umdeutungsversuche zu erdulden haben.

Gruß
mmkretsch
 

Nachbar

Ritter Kadosch
20. Februar 2011
5.095
Ich hatte gestern einen faulen Abend und habe mir die "Tribute von Panem" angeschaut. Auf 55 Zoll in HD. Beim Betrachten einer Totalen dieser extrem weiß geschminkten Frau deren Namen mir nicht einfällt kam ich ins Grübeln über Ultra HD, der neuen Sau die gerade durchs Dorf getrieben wird, und habe zu ergründen probiert was das soll. Jedes noch so winzige Detail, jeden Krümel in der weißen Schminke, konnte ich jetzt bereits erkennen. Auch einige Szenen weiter habe ich noch versucht, Defizite der Bildauflösung zu entdecken. Vergeblich.
Trotzdem wird Ultra HD kommen. Mit neuen Fernsehern, neuen Speichermedien, neuen Abspielgeräten und so weiter. Nicht weil es uns danach in irgendeiner Weise besser geht, sondern weil die Fabriken weiter laufen müssen, der Handel neue, begehrliche Produkte braucht und das Geld der Konsumenten in den Umlauf muß.

Als ich Kind war und wir den ersten Schwarzweißfernseher hatten, konnte unsere vierköpfige Familie vom Gehalt meines Vaters, damals ein Bahnbeamter in niedrigem Dienstgrad, in der Großstadt noch ganz brauchbar leben. Heute, vier Jahrzehnte mit rasantem Fortschritt und enormer Produktivitätssteigerung später, hat ein Vater in vergleichbarer Position nicht mehr die geringste Chance seine Familie über die Runden zu bringen. Ohne Kitaplatz und Ganztagsschule geht's nicht mehr. Herzlichen Glückwunsch.
 

TheUnforgiven

Großer Auserwählter
17. Februar 2012
1.813
Full agree @Nachbar
Um es mit mmkretschs Worten zu sagen:
Profitsteigerung über alles...

Ich habe übrigens erst vor 3 Monaten einen "modernen" Flachbild-Fernseher bekommen... bisher habe ich, wenn ich überhaupt mal TV oder Filme geschaut habe, auf einem 15 Jahre alten Röhrenfernseher geschaut.
Ich habe diesen Luxus früher nicht gebraucht, als es ihn noch nicht gab und brauche ihn auch heute nicht.
Klar ist es ein viel besseres Bild, aber um einen Film und seine Handlung zu sehen, reicht mir die alte TV-Qualität auch.

Ich habe bei allem bisher eh immer abgewartet, bis die neue Technik irgendwann zu Ramschpreisen verfügbar... außer den ersten DVD-Player... den habe ich schnell gekauft gehabt.

Ich würde ja gerne sagen, früher war alles besser... aber das stimmt so nun auch nicht wirklich. Es gibt einige Dinge, die heute das Leben erleichtern, aber wirklich brauchen tun wir diese Dinge auch nicht.
Ein Smartphone zum Beispiel... zu meiner Jugendzeit gab es diese Dinger nicht und wir haben uns in der Schule bereits zum Fußballspielen verabredet und um 15 Uhr waren dann auch alle auf dem Fußballplatz... das hat auch alles ohne Technik funktioniert... und wenn jemand doch nicht pünktlich kam, wurde vielleicht mal die Telefonzelle genutzt oder von zu Hause aus angerufen...
Es ging alles auch ohne Technik.
Ich könnte auf vieles verzichten... aber auf Punkte wie Internet oder Auto würde ich ungerne verzichten, genauso wie auf fließend (warmes) Wasser oder Strom.
Internet ist für mich wie ne riesige Bibliothek mit unendlich Wissen oder Lesestoff...
Das Auto ist für mich ein Luxus und ein Stück Freiheit. Damit bin ich relativ unabhängig und kann überall hin, wo ich will, ohne wirklich auf andere angewiesen zu sein.

Ich glaube unser Problem ist allgemein der Luxus.
Die heutigen Generationen werden damit groß, meine Generation ist wiederum anders groß geworden.
Die Generationen davor wieder anders oder sogar im Krieg.
Ich denke, dass viele Menschen ohne den ganzen Luxus von heute klar kommen würden, wenn sie müssten.
Aber viele müssten es vermutlich erst lernen, wie man ohne die heutigen (Luxus-)Helfer auskommt.
 

mmkretsch

Erhabener auserwählter Ritter
17. Mai 2008
1.113
Hallo.
Ich empfinde die bisherigen Beiträge als sehr anregend und, nun ja, tröstend insofern, dass ich erfahren darf, mit meiner Sicht auf derzeitige Trends nicht alleine zu sein. Auch wenn die angeführten Überlegungen bei sehr düsteren Schlussfolgerungen landen mögen, unterscheiden sich die Beiträge bisher sehr von den erwartbaren "ist doch eh´ alles egal"-Phrasen.
Sicher kennen viele diese "Evolution-Shirts" mit der stilisierten Darstellung der Entwicklung vom kleinen Affen bis hin zum aufrecht voranschreitenden Homo Sapiens; je nach Geschmack steht am Ende der Kette dann ein Mountain-Biker, Heavy-Metal-Gitarrist, rasenmähender Mensch, usw.,.... Ich möchte mal so ein Shirt sehen, bei der am Ende ein Mensch endlich in die entgegengesetzte Richtung geht.
Früher war nicht alles besser, aber vieles war gut und tatsächlich auch besser. Gut war, das Menschen noch die Hoffnung oder zumindest die Vorstellung von einer möglichen besseren Welt hatten und sich nicht schämten, diese auch zu äußern. Dieses utopische Denken scheint mir einer resignierten Haltung gewichen zu sein, die darauf angelegt ist, mit dem Wissen auf den bevorstehenden Aufprall sich die Zeit bis dahin so angenehm wie möglich zu gestalten.

Gruß
mmkretsch
 

TheUnforgiven

Großer Auserwählter
17. Februar 2012
1.813
Den meisten Menschen geht es hier bei uns einfach zu gut.
Der Mensch ist hier träge und faul geworden.
Warum für etwas aufstehen, wenn es einem doch ganz gut geht?
Warum auf etwas verzichten, was man hat?
Ich sagte ja, dass große Problem ist die Gewöhnung an den Lebensluxus.
 

Nachbar

Ritter Kadosch
20. Februar 2011
5.095
So etwa 1984 war es ganz gut. Da gab's schon Telefone mit Tasten statt Wählscheibe, aber die meisten Leute hatten noch keinen Anrufbeantworter. Wer auf Reisen ging war nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof tatsächlich weg, frei vom Alltag, nicht mehr zu erreichen. Meine Güte, was war das himmlisch! Und die Betäubung beim Zahnarzt war auch schon üblich...

Heute erschreckt mich insbesondere die Geschwindigkeit, mit der die technische Vergesellschaftung voran schreitet. Diese Entwicklungen an allen Ecken, die Autonomie erschweren und Abhängigkeiten erzwingen. Einerseits scheint bspw. die Kommunikation ein menschliches Bedürfnis zu sein, denn man hat schon deutlich vor Beginn des digitalen Zeitalters ein dickes Kabel durch den Atlantik gezogen, aber wir haben inzwischen den Sinn aus dem Blick verloren. Irgendwie möchte fast jeder "mehr Bandbreite", aber kaum jemand dürfte präzise sagen können, wofür. Und vermutlich leider nicht einmal, ob ihm das was er bereits hat mehr nützt als schadet. Es werden einfach ganz wichtige Fragen kaum noch gestellt. Am allerwenigsten im politischen Raum, wo dem Thema "Zufriedenheit" Platz eingeräumt werden müsste. Statt dessen reden wir darüber, welche Leistungen des Therapeuten die KV bezahlt und wo man während des Yoga-Seminars die Kinder lässt...
 

mmkretsch

Erhabener auserwählter Ritter
17. Mai 2008
1.113
Hallo Nachbar.
Der Blick für´s Wesentliche scheint uns verloren zu gehen bzw. die Fähigkeit, entscheiden zu können, was wichtig ist. Ein simples Beispiel, das alle kennen und betrifft: Begebe ich mich in den öffentlichen Verkehr, werde ich heute konfrontiert mit Menschen (Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer), die ihr Wohl, ja ihr Leben (!), und das anderer riskieren, indem sie ihre unteilbare Aufmerksamkeit ihren E-Spielzeug widmen, anstatt sich wie verantwortungsbewusste Verkehrsteilnehmer zu verhalten. Das ist Wahnsinn pur, den ich täglich erleben muss. Hier scheint der Mensch schlicht überfordert zu sein mit den Wahlmöglichkeiten und Ablenkungen, die ihm die neueste Technik bietet.
Aber Trends erzeugen häufig auch gegenläufige Bewegungen. Jemand hat mal gesagt: "Reich ist nicht, wer viel hat, sondern, wer wenig braucht." So jemand ist nicht nur reich, sondern auch freier und wird sein Dasein wohl eher als glücklich empfinden.

Gruß
mmkretsch
 
Zuletzt bearbeitet:

Viminal

Großer Auserwählter
10. Juni 2009
1.964
Naja, ich will nicht in Abrede stellen dass Technik von vielen Menschen falsch eingesetzt wird, dass es manchen Leuten zu gut geht usw., aber ich glaube hier wird die Vergangenheit von einigen doch arg romantisiert. Das Leben in der Vergangenheit war knallhart, die Menschen waren nicht ständig am Grinsen vor Glück.

... und der Goldsucher in Alaska um 1890 war vielleicht mit den nötigen Fähigkeiten und Fertigkeiten ausgestattet um in der Wildnis zu überleben, er war aber auch unzähligen Härten und lebensbedrohlichen Gefahren ausgesetzt. Blinddarmdurchbruch am Klondike mitten im Winter um 1890, drei Tagesmärsche vom nächsten Dorf entfernt? Glück pur!
 

Viminal

Großer Auserwählter
10. Juni 2009
1.964
Als ich Kind war und wir den ersten Schwarzweißfernseher hatten, konnte unsere vierköpfige Familie vom Gehalt meines Vaters, damals ein Bahnbeamter in niedrigem Dienstgrad, in der Großstadt noch ganz brauchbar leben. Heute, vier Jahrzehnte mit rasantem Fortschritt und enormer Produktivitätssteigerung später, hat ein Vater in vergleichbarer Position nicht mehr die geringste Chance seine Familie über die Runden zu bringen. Ohne Kitaplatz und Ganztagsschule geht's nicht mehr. Herzlichen Glückwunsch.
Das sehe ich etwas anders. Wenn Du bereit bist mit demselben Standard von damals zu leben, dann würde das Gehalt schon reichen.
Mit einer Großfamilie wie damals die auf die Kinder aufpasst, ohne Urlaubsreisen, ohne Auto, ohne Telefon. Die Wohnung hat kein Kinderzimmer, stattdessen schlafen die Kinder in der Bodenkammer oder man rückt nachts zusammen. Zu Weihnachten gibt es auch keinen großen Geschenkesegen sondern es muss dann auch mal ausreichen dass die Puppe nur mal ein neues Kleid bekommt.
 

Nachbar

Ritter Kadosch
20. Februar 2011
5.095
[...] aber ich glaube hier wird die Vergangenheit von einigen doch arg romantisiert.
Ich denke es ging in den letzten Beiträgen nicht um die bessere Vergangenheit, sondern um die bessere Gegenwart, und einen deshalb nachdenklichen Blick auf die Vergangenheit.
Den darf man gern gelegentlich wagen, sofern man nicht so dumm ist, die Vergangenheit lediglich für eine wertlose Müllhalde zu halten. Das ist sie nicht. Wenn heute Kinder von der Kita an mit Hochdruck bis ins Studium getrieben werden, mit Fällen von Burnout in der Schule!, dann war meine Schulzeit besser. Wenn es in allen möglichen Lebensbereichen, vom Job über die Verfügbarkeit von Medien bis zum Kommunikationsdienstleister, derart krass an Vertrautheit und Handlungssicherheit mangelt, daß nicht Wenige schlicht kapitulieren, dann war das mal besser.

Das sehe ich etwas anders. Wenn Du bereit bist mit demselben Standard von damals zu leben, dann würde das Gehalt schon reichen.
Nein. Du bist im 19. Jahrhundert gelandet. Ich war in den 60er/70er Jahren. Mit Urlaub, VW Käfer, Kinderzimmer und Telefon.
 

Viminal

Großer Auserwählter
10. Juni 2009
1.964
Mir scheint jedoch die bessere Gegenwart wird durch einen zu träumerischen Blick auf die Vergangenheit erdacht. Mir dünkt die Formel hier ist in erster Linie "Weniger Technik = Mehr Glück".
Dabei ist Zufriedenheit und Glück nicht von äußeren Faktoren abhängig, das ist etwas was der Blick auf wenig technologisch fortschrittliche Zeiten lehren kann. Aber das heißt nicht, dass man nur mit weniger Technik zufrieden und glücklich leben kann. Das heißt nur, dass unglückliche Menschen in der Gegenwart verlernt haben richtig zu leben. Es ist also wenn überhaupt nur ein psychologisches und ein soziologisches Problem, die Technik hat damit recht wenig zu tun.

Im übrigen halte ich die Vergangenheit nicht für eine wertlose Müllhalde, ich bin nur extrem widerborstig wenn das "Früher war es besser"-Argument kommt.
Zum Beispiel: Gab es denn früher wirklich keine überlasteten Schüler? Oder hat man das einfach anders genannt, nämlich einen schlechten Schüler oder vielleicht einen Rabauken?

Mit dem Blick auf die Vergangenheit gibt es für mich im wesentlichen drei riesige Probleme:
1. Der Blick auf die Vergangenheit fällt entweder auf eine Zeit die man selbst gar nicht miterlebt hat oder aber die man selbst nur als Kind und damit gefiltert wahrgenommen hat. In beiden Fällen ist man schnell dabei auf Klischees und Trugbilder reinzufallen.
2. Gerade bei gesellschaftlichen Fragen, z.B. die überlasteten Schüler usw., besteht immer die Gefahr dass es nur so scheint als ob es das früher nicht gegeben hätte - allerdings nur deshalb, weil sich um diese Frage damals niemand in der Öffentlichkeit gekümmert hat.
3. In der Vergangenheit galten auch ganz andere Rahmenbedingungen - man kann nicht einen Aspekt des Lebens herausgreifen und sich daran abarbeiten dass dies früher ja ganz war ohne ausreichend zu würdigen dass auch alles andere ganz anders war.

Ich will damit keineswegs auf das gegenteilige Motto "Früher war alles genauso" hinaus, ich will nur Aufmerksamkeit für die Gefahren beim Vergleich von gestern und heute wecken.

Im Endeffekt ist es doch auch so: Wer in der Gegenwart Probleme hat, der muss diese auch in der Gegenwart lösen.
 

Aurum

Gesperrter Benutzer
26. September 2015
3.955
mir gefällt nicht, dass das Volk aus Erfolgsdruck und Profitgier der Elite in immer kürzeren Abständen zur Anschaffung neuer Technologien gezwungen wird. Dem Menschen wird vorgeschrieben, was er sich zu kaufen hat. Der Raucher muss Nichtraucher werden, damit sein mehr oder weniger fixes Budget Ressourcen für anderes frei gibt (stille Lenkung).
Da hat man eine gerade mal 3-jahre alte ISDN-Fritzbox, und bereits kann sie wegen Umstellung auf All-IP nicht mehr genutzt werden (ausgenommen kaskadiert, so wie man es mir erzählt hat). Nach 10 Jahren bereits das Smartphone zum Zwang gemacht, QR-Code übergross, die typografische Text klein nur mit Lupe zu lesen, demnächst wohl gar nicht mehr.
Immer mehr Leute verlieren den Anschluss zum digitalen Fortschritt, fallen durch die Maschen der Gesellschaft.

Diese Spezien an Messen sind eine Bedrohung!
Ebenso diese Schwafelköfferchen, genannt Politiker und Anwälte.

Soeben heute wieder ein widerwilliges Dokument in die Hand bekommen: Die Versicherungsgesellschaft fordert einen neuen Antrag zu unterschreiben, was einer Kündigung gleich kommt. In gewisser Weise Nötigung. Einspruch! Warte jetzt auf Antwort.
 
Zuletzt bearbeitet:

Nachbar

Ritter Kadosch
20. Februar 2011
5.095
Mir scheint jedoch die bessere Gegenwart wird durch einen zu träumerischen Blick auf die Vergangenheit erdacht. Mir dünkt die Formel hier ist in erster Linie "Weniger Technik = Mehr Glück".
Nein, natürlich nicht. Die Technik ist lediglich das Resultat menschlicher Anstrengungen, sie ist weder das Problem noch die Lösung. Aber manchmal ist sie ein brauchbarer Indikator.
So wie zum Beispiel alles was nach der zweiten Klinge im Gillette-Rasierer kam. Haben wir uns nicht spätestens nach der dritten gefragt, was nun noch kommen soll? Aber es kam. Eine Lüge nach der nächsten, ein riesiger Jahrmarkt, nichts als Klamauk.

Es werden in atemberaubender Geschwindigkeit neue Dinge auf den Markt geworfen, die die Menschen zwar nicht brauchen, aber wollen. Die liefert amazon im Falle der "Prime-Mitgliedschaft" - im ersten Monat kostenlos - sogar am nächsten Tag, dann kannst Du dich statt zwei Tage nur noch einen auf das freuen, was dich natürlich nicht glücklicher macht, aber ärmer. Und in der Werbung immer aufs Wort "sichern" hören. Rabatte sichern, und Boni und Supersonderangebote, aber jetzt nur für kurze Zeit, schnell sein, zugreifen, bevor es die anderen tun. Und jeden neuen Vertrag am besten sofort wieder kündigen, denn Treue und Kontinuität sind Werte von gestern. Zwischen den Angeboten rotieren wie ein Irrlicht, DAS ist cool, das bringt jährlich die Wechsel-Bonus-Partner-Punkte, online in Form von Tinneff einzulösen. Das ist zwar Plunder den du nie haben wolltest, aber haben ist ja bekanntlich besser als brauchen, also her damit. Du hast ja gerade die größere Wohnung gemietet, für die du nun wirklich auf die Nachtstunden-Zuschläge angewiesen bist, und da ist ja nun Platz, und schöner ist sie doch auch, oder? Aber im ganzen Trubel bloß nicht vergessen den neuen Vertrag zu kündigen, denn Treue-Punkte gibt's ja nicht, nur Wechsel-Punkte. Und scheisse, ich hab ja seit zwei Stunden nicht mehr auf dem Smartphone meine Emails gecheckt...

Nein, die Technik ist nicht das Problem. Wir sind es.
Wenn ich mich heute wundere warum ich mit dem Buch nicht weiter komme, obwohl es gut ist, und obwohl ich früher so viel gelesen habe, dann kann ich mich doch mal umschauen und mich fragen woran es liegt, was sich verändert hat. Mit mir und meiner Art zu leben, und mit meiner Umgebung.
Vielleicht stelle ich fest daß es mal ruhiger war, näher am Menschen, verlässlicher, begreifbarer.
Irgendwie haben wir es fertig gebracht, uns selbst davon zu rennen. Wir haben uns, das Produkt einer Millionen Jahre währenden Evolution, einfach abgehängt. Unsere emotionalen Kapazitäten hängen hinter unseren technologischen Sprüngen so weit zurück, daß wir uns selbst zu Opfern machen. Spätestens seit Hiroshima müssten wir das wissen, tun es aber nicht.

Wir müssen nicht ins Gestern zurück, das können wir auch nicht. Wir müssen nachdenken. Wir müssen, verdammt nochmal, nachdenken.
 
Zuletzt bearbeitet:

William Morris

Meister des Tabernakels
4. Mai 2015
3.764
Etwas kann man ja den technischen Fortschritt in seinem Haushalt schon steuern. Ich hab auch einen Flatscreen und zusätzlich ein Heimkino (beste Investition im Haus) und noch ein paar mehr Spielereien. Aber man muss auch nicht jeden Trend mitmachen und sich zu irgendwas zwingen lassen. Ich habe ein kleines Auto, was mir vollkommen ausreicht. Ich setze da eben andere Prioritäten. Mein Smartphone ist glaube ich, vorletzte Generation, reicht auch. Ich lebe nicht viel anders als vor 10 Jahren, mit ein paar mehr technischen Spielereien, die mir mein Leben erleichtern sollen.

Amazon prime habe ich auch, früher weil ich da recht viel bestellt habe und heute freu ich mich über das Filmangebot. Ob die Pakete nun morgen oder sogar gestern kommen ist mir egal.
 

TheUnforgiven

Großer Auserwählter
17. Februar 2012
1.813
Wo soll man auch noch einen Röhrenfernseher herbekommen? Die Dinger halten ja nicht ewig.

Das vielleicht nicht, aber vermutlich länger als die heutigen Flachbild-Dinger.
Mein letzter Röhrenfernseher hat über 15 Jahre seinen Dienst geleistet, bevor er gegen einen Flachbild ausgetauscht wurde.
Das Röhrenteil war noch top in Ordnung. Ich habe den umstieg auch nur gemacht, da ich den Flachbildfernseher durch einen Nachlass erhalten habe. Sonst würde ich noch weitere Jahre damit schauen.

Es scheint ja heute generell üblich zu sein, dass die technischen Dinger alle ein "Ablaufdatum" bei der Produktion erhalten wann sie spätestens auseinander fallen sollen.
 
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