aus anlass des jahrestages des anschlages auf das WTC hat dieses wochende die berliner zeitung dieses thema zu ihrem schwerpunkt gemacht.
aus vielen interessanten artikeln, habe ich mal zwei herausgegriffen, die sich mit der lage in den usa nach den ereignissen beschäftigen:
aus vielen interessanten artikeln, habe ich mal zwei herausgegriffen, die sich mit der lage in den usa nach den ereignissen beschäftigen:
Jeder ist verdächtig
Bürgerrechtler werfen der amerikanischen Regierung vor, einen Überwachungsstaat zu schaffen
Eva Schweitzer
NEW YORK, im September. Zwischen der Uferkante von Brooklyn und einer aufgestelztenStadtautobahn steht ein neuer, grauer Betonkasten mit zugemauerten Fenster: Das Detention Center von New York, ein Gefängnis für Ausländer. Shakir Baloch, ein Kanadier pakistanischer Abstammung, saß sieben Monate hinter diesen Mauern. In Isolierhaft, das Licht 24 Stunden angeschaltet, ohne dass er einen Anwalt benachrichtigen konnte, ohne dass seine Frau wusste, wo er war.
Rabih Haddad, ein libanesicher Immigrant aus Ann Arbor, Michigan, sitzt immer noch hinter Gittern. Haddad wurde im Dezember verhaftet, seine Frau und seine vier Kinder können ihn nur fünfzehn Minuten im Monat sehen, durch Sicherheitsglas getrennt. Haddad ist Mitbegründer des "Global Relief Found", und das FBI glaubt, der Fonds unterstütze El Kaida. Bislang wurde keine formelle Anklage gegen Haddad erhoben. Es gibt ein Verfahren, aber das ist so geheim, dass Haddad selbst daran nicht teilnehmen darf.
Digitale Überwachung
Bill Brown ist New Yorker und politischer Aktivist. "Viele New Yorker haben heute mehr Angst vor John Ashcroft als vor Osama Bin Laden", sagt er. US-Justizminister Ashcroft ist verantwortlich für den USA Patriots Act, der mehr als 2 000 Immigranten auf unabsehbare Zeit in Vorbeugehaft gebracht hat, ohne dass ihnen der Rechtsweg offen steht - eine genaue Zahl hat keiner, da viele bereits abgeschoben wurden. Bill Brown veranstaltet Touren zu versteckten Überwachungskameras in Manhattan, deren Zahl seit dem 11. September auf fast tausend gestiegen ist. "Die größte Dichte von Überwachungskameras war um das World Trade Center", sagt Brown. "Und was hat es genützt? Gar nichts." Die dritte, digitale Generation dieser Geräte kann Gesichter so gut auflösen, dass Barthaare erkennbar sind. "Das FBI kann Gesichter aus einer Menschenmenge seiner Datenbank zuordnen", sagt Brown. Dann deutet er auf eine Überwachungskamera an der Brooklyn Bridge, die aussieht wie eine Straßenlaterne. "Die ist ganz neu. Die kann aufzeichnen, wer über die Brücke kommt, um vor dem Rathaus zu demonstrieren."
Ein Jahr nach dem Anschlag auf das World Trade Center liegt der Schatten von George Orwell über den USA. Die Regierung arbeitet gerade an dem "Terrorism Information and Preventions System", kurz TIPS genannt. TIPS ist ein Überwachungssystem, das Postboten, Möbeltransporteure, Zählerableser, Busschaffner, Kabelinstallateure, Taxifahrer, Hausmeister, Telefon-Handwerker, Elektriker oder Pizza-Auslieferer als "Auge und Ohr der Regierung" rekrutieren soll.
"Wie diese Regierung unsere Verfassung verletzt, das ist schlimmer als alles bisher, eingeschlossen McCarthy", sagt Nat Hentoff, ein 77-jähriger politischer Kolumnist, der für die linke Village Voice schreibt. "Das FBI kann mit diesen Gesetzen beispielsweise in eine Bücherei oder in einen Buchladen gehen und fragen, was Terrorismusverdächtige lesen. Die Bücherei darf aber ihrerseits nicht die Presse von der Razzia des FBI unterrichten, denn das ist geheim." Das FBI könne außerdem nun mit einem einzigen Richterbeschluss alle Telefone eines Verdächtigen in allen Bundesstaaten abhören, seine E-Mails lesen und checken, welche Websites er oder sie aufgerufen hat.
Gegen die Verfassung
"Das FBI kann sogar zu Hause oder im Büro des Betreffenden auftauchen, wenn er nicht da ist, ohne dessen Wissen eine so genannte Magic Lantern in seinem Computer installieren und für Monate alle Bewegungen auf der Festplatte abfragen", sagt Hentoff. "Das ist völlig gegen den Geist der Verfassung."
Um als Symphatisant zu gelten reicht es, Kontakt zu einer Gruppe zu haben, die dem FBI nicht genehm ist. "Wer irgendwann einmal dem African National Congress - das ist eine schwarze Bürgerrechtsorganisation - einen Scheck ausgeschrieben hat, kann schon verdächtig sein", sagt Hentoff. Ausländer, selbst mit Greencard, können dann abgeschoben werden, ohne dass sie überhaupt erfahren, was gegen sie vorliegt. Die Zeitschrift The Nation berichtete, dass die Bundespolizei Dossiers über 3 200 Menschen in 208 Organisationen angelegt hat - dazu zählen Gruppen, die gegen die Globalisierung protestieren, Quäker, Amnesty International, Greenpeace und das American Indian Movement.
Donna Lieberman steht der New Yorker Sektion der American Civil Liberties Union vor, einem Verein, der für die Verteidigung der Bürgerrechte eintritt und der alleine in New York 25 000 Mitglieder hat. "Wir machen Lobbyarbeit, reden mit Politikern und Journalisten, vor allem, um gegen TIPS zu mobilisieren, und wir kümmern uns um Einzelfälle, wenn wir erfahren haben, dass jemand im Gefängnis sitzt", berichtet sie. "Aber manchmal fühlt es sich doch bloß an wie Schadensbegrenzung." Und es sei schwer angesichts der Stimmung seit dem 11. September. "Wir fühlen den Schmerz und die Trauer über die Attacke wie jeder andere auch." Bekommt die ACLU böse Briefe oder E-Mails von Leuten, denen Sicherheit wichtiger ist als Rechtssicherheit? "Ja, sicher", sagt Lieberman. "Viele Amerikaner denken, solange die Einschränkung der Freiheit den anderen betreffe, sei es nicht so schlimm." Und viele dieser Einschränkungen richteten sich eben gegen den anderen, den dunkelhäutigen Moslem. "Aber wir wollen nicht eines Tages aufwachen, und merken, dass die Regierung jede unserer Bewegungen überwacht, und wir wissen nicht, wie das geschehen konnte."
Nach einer Gallup-Umfrage im Auftrag von CNN und USA Today vom Juni glauben nur elf Prozent der Amerikaner, dass Bush bei der Einschränkung der Bürgerrechte zu weit gegangen ist. 50 Prozent sind einverstanden, und 25 Prozent sagen, er gehe nicht weit genug. Wohl deshalb ist auch Minister Ashcroft nicht sonderlich beeindruckt von den Protesten. Er sagte dem Kongress, er habe eine Botschaft an "alle, die friedliebende Leute mit dem Phantom der verlorenen Freiheit erschrecken: Ihr helft nur den Terroristen."
Die Angst der Demokraten
Die Demokratische Partei setzt dem wenig entgegen, aus Angst, als unpatriotisch zu gelten. Zu den Ausnahmen zählt Warren Christopher, vormals Außenminister unter Bill Clinton. Die Weigerung der Regierung, die Namen von Häftlingen herauszugeben, erinnere ihn an Argentinien, wo tausende von Dissidenten verschwunden seien, sagte Christopher. Aber führende Demokraten wie Patrick Leahy, der Vorsitzende des Rechtsausschusses, oder Tom Daschle, Sprecher des Senats, halten sich zurück. Auch jüdische Organisationen, die traditionell für Bürgerrechte eintreten, sind nun recht schweigsam. Ihnen ist die Unterstützung der Christlichen Rechten im Kampf gegen die Palästinenser wichtiger als es die Bürgerrechte moslemischer Immigranten sind.
Widerstand kommt eher aus der bürgerlichen Ecke. Auch die konservative Presse wird kritischer: Vier Zeitungen in Michigan haben gegen das Geheimverfahren für Haddad geklagt - und gewonnen. "Demokratie", sagte Damon Keith, einer der Richter, "stirbt hinter verschlossenen Türen."
"Eine Art kalter Staatsstreich"
Präsident Bush hat die Lage nach dem 11. September für seine Zwecke genutzt, sagt Norman Birnbaum. Und er rät Europa zu einer gemeinsamen Politik
Die Opposition in den Vereinigten Staaten ist völlig lahm gelegt, bemängelt Norman Birnbaum. Denn die amerikanischen Demokraten fürchteten immer noch, als zu weich zu erscheinen. Der Sozialwissenschaftler lehrte bis zu seiner Emeritierung an der Georgetown-Universität in Washington.
Wird der 11. September im Gedächtnis der Amerikaner tatsächlich eine ähnliche Bedeutung erhalten wie die Ermordung John F. Kennedys oder der Angriff auf Pearl Harbor?
Ja, das Datum hat dieselbe Größenordnung. Dem Gefühl der Unverwundbarkeit wurde viel genommen. Es gibt eine große Unsicherheit, die ist nun ein politischer und kultureller Faktor in den Vereinigten Staaten. Und sie wird es auch bleiben.
Werden sich die politischen Kräfte in den Vereinigten Staaten auf Dauer verschieben?
Das bleibt abzuwarten. Bis jetzt hat die Lage George W. Bush ermöglicht, eine Art kalten Staatsstreich zu versuchen. Mehr oder weniger erfolgreich war er damit in der Außenpolitik. Die demokratische Opposition ist total lahm gelegt. Wenn es überhaupt Opposition gibt, kommt sie von Republikanern wie James Baker oder Henry Kissinger. Und ein Teil der Generalität scheint mit der Politik der Regierung nicht ganz einverstanden zu sein.
Haben sich die Demokraten nicht selber lahm gelegt?
Ja sicher, sie haben das auch selber gemacht. Und dafür gibt es zwei Gründe: Da ist zuerst diese alte Angst der Demokraten zu weich zu erscheinen. Diese Angst hat sie auch in den Vietnam-Krieg getrieben. Und zweitens ist in der Frage der Außenpolitik natürlich auch der große Einfluss der israelischen Lobby nicht zu unterschätzen.
Hat der Krieg gegen den Terror nicht auch Erfolge gezeitigt, etwa das Ende der Taliban?
Natürlich ist es besser, dass die Taliban nicht mehr in Kabul regieren, aber die neue Regierung in Afghanistan ist auch keine Regierung sondern ein Allianz unseres Paschtunen-Freundes Karsai, des Freundes der CIA, und der Gangster der Nordallianz. Nichts ist getan, um die Zivilgesellschaft aufzubauen. Es scheint sich dort ein gefährliches Vakuum zu entwickeln.
Wie würde der Krieg gegen den Terror geführt, hieße der Präsident der Vereinigten Staaten Al Gore?
Gore war immer ein Falke, aber er hätte vielleicht einige Dinge intelligenter gemacht, er hätte wohl die Sensibilität der Europäer besser berücksichtigt.
Wie beurteilen Sie es, dass sich im Irak-Konflikt eine deutsche Regierung so deutlich wie noch nie gegen die militärischen Pläne der Vereinigten Staaten gestellt hat?
Kurzfristig erzeugt das Spannungen. Langfristig ist das auch für uns gut. In einem pädagogischen Sinne. Zeigt es uns doch, dass es Leute auf der Welt gibt, die unsere Freunde sind, die demokratisch sind, aber andere Maßstäbe haben. Bush muss damit rechnen, dass er ziemlich alleine dasteht. Das muss aber nicht heißen, dass die Europäer eine kohärente Politik haben. Berlusconi hat gesagt, dass er immer auf der Seite der Amerikaner steht, selbst wenn er noch nicht weiß, um welche Seite es sich handelt. Die Europäer müssen eine gemeinsame Politik finden.
Was denken Sie, sind die Folgen eines Kriegs gegen den Irak?
Auch die Vereinigten Staaten können ihre Kraft überschätzen. Denn was konkret passieren wird nach einem Angriff auf den Irak, kann niemand wirklich sagen. Die Leute, die den Vergleich mit Vietnam benutzen, haben Recht, glaube ich. Nur dass die Lage im Nahen Osten noch viel gefährlicher ist.