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Sloterdijk: Regeln für den Menschenpark

agentP

Ritter Kadosch
10. April 2002
5.361
Und genau so finde ich Absätze in Altgriechisch für "Die Semantik des Aristoteles" angemessen, nicht aber für eine "Einführung in die Philosophie des Abendlandes".
Eben. Und oben zitierter Sloterdijk schreibt nun mal keine Einführungen in die Philosophie, sondern recht spezielles zu Ästhetik und Ethik. :roll:
 

hives

Ritter Rosenkreuzer
20. März 2003
2.785
back 2 topic!

Wenn's recht ist, kommen wir dann auch mal wieder auf Sloterdijk zurück :)


Spielt er nun die Kassandra im "nietzscheanischen Gestus" oder offenbart sich ein abgebeiztes Platon-Double im Zeichen der kommenden Biopolitik?
Ihm wird m.E. nicht zu Unrecht nachgesagt, dass seine Texte inhaltlich oberflächlich bleiben und Tiefgang vermissen lassen, aber zumindest interessant abgefasst sind.
"Eine gewisse literarische Qualität ist seinem Text nicht abzusprechen. Es finden sich vorzeigbare Perlen." (link)
Zu den Vorwürfen kommt teilweise auch Naivität, woran ich jedoch zu zweifeln wage.

Wenn Sloterdijk ein "Weltalter" kommen sieht, "in dem der Unterschied zwischen Siegern und Verlierern" wieder mit "antiker Härte und vorchristlicher Unbarmherzigkeit an den Tag tritt", könnte man zunächst an eine aufrichtige, ehrwürdige Beschreibung der gegenwärtigen Entwicklungen denken, an eine Warnung, die der prophetische Philosoph seinen Lesern entgegenhält - wie der geneigte Leser auch die gesamte Leier vom Ende des Humanismus als Warnung verstehen kann.
Da die präzise Theorie nicht seine Sache ist, lohnt sich vielleicht ein Blick auf den medial agierenden Sloterdijk, genauer gesagt auf seine Äußerungen in Interviews und Diskussionen, in denen er gedrängt wird, Position zu beziehen. Wie äußert sich Sloterdijk, wenn er mal konkret wird?

Zunächst beweist Sloterdijk natürlich auch in diesen Bereichen der Kommunikation regelmäßig seine offensichtliche Abneigung gegen präzise Gedankenführung und Argumentationslogik (wer z.B. schon einmal "Im Glashaus - Das philosophische Quartett" gesehen hat, wird dies bemerkt haben). Allerdings gab es auch schon mehr oder weniger konkrete Aussagen, wie etwa im Folgenden kommentiert:

Auch der Meister selber äußert sich, in einer Sendung des Magazins "Kulturzeit" von 3-sat, diesmal zur Sache. Er sei dafür, die Anwendung der Bio-Techniken zu reglementieren, seiner Meinung nach sollte jedoch "im Bereich der medizinischen Optimierung des Lebens für einzelne die Grenze weiter hinausverschoben werden". Er fährt fort, "ich glaube, daß gesellschaftliche Prozesse zur Zeit vor allem in den USA, wo also durchaus bedenkliche Formen des 'ge-netic screening' über die Krankenversicherungen bereits implantiert sind, eine Sortierung der Bevölkerung in den gesünderen und in den kränkeren vorgenommen wird, die über längere Fristen betrachtet zu einer regelrechten Neuzüchtung der Gesellschaft führen würde". Und dies sei ein Thema, das diskutiert werden müsse. Und in einem Interview mit der Zürcher Weltwoche äusserte sich Sloterdijk, er habe "unwiderlegbare Beweise dafür, daß in Starnberg eine Art Fatwa" über ihn verhängt worden sei.
Die Tatsache, daß Sloterdijk Vortragender am "Philosophicum Lech" war (er begnügte sich dabei allerdings damit, aus seinem neuesten Buch Sphären II vorzutragen), ließ an die fünfzig Journalisten nach Österreich reisen. Ralf Grötker hat neben anderen in der Berliner Zeitung über die eigens arrangierte Pressekonferenz berichtet. Sloterdijk habe dabei eine Re-Intellektualisierung der Auseinandersetzung mit seinem Vortrag gefordert und dann das "Paparazzotum des Erregungsjournalismus", das mit seiner linksfaschistischen Agitation um des reinen Skandalismus willen in die Philosophie selbst eingedrungen sei, angegriffen. Einen davon, nämlich Rainer Stephan, habe er auch schon in Lech ausfindig gemacht: "Ich habe ihm nicht die Hand gegeben und möchte ihn auch auffordern, ruhig zu halten", zitiert Grötker Sloterdijk. Auf die Bitte, exemplarisch eine der Passagen seines Vortrages zu kommentieren, habe Sloterdijk jedoch ausweichend reagiert. Er sei dabei, so berichtet Rainer Metzger im Standard, sichtlich stolz über die von ihm ausgelöste Affäre gewesen: "Ich begrüße den Skandal als eine Produktionsform, in der sich die die bürgerliche Öffentlichkeit an das erinnert, wofür sie da ist". Und über seine Wortschöpfung "Anthropotechnik" meint er: "Ich bin sicher, daß man von dem Begriff noch viel hören wird." Rüdiger Suchsland zieht in der Frankfurter Rundschau das Fazit: "Der Verdacht drängt sich auf, daß hier einer wohlkalkuliert den Skandal am Köcheln halten will, um im 'semantischen Bürgerkrieg' Geländegewinne zu verbuchen'".
http://www.information-philosophie.de/philosophie/moser sloterdijk.html


Will Sloterdijk die Grenzen weiter hinausverschieben und gleichzeitig vor einem zu weiten Hinausverschieben der Grenzen warnen?

Überraschend viele Kommentare aus dem traditionell linken Spektrum wiegelten ab: die Bioethikentwicklung sei längst gefährlich weiter, Sloterdijk sei eher harmlos, die Taz stellte gar eine Unbedenklichkeitsbescheinigung aus: "Belege für die großen Vorwürfe gegen Sloterdijk sind im veröffentlichten Text nicht zu finden." Ganz anders die Töne im rechten Spektrum: auf dem Höhepunkt der Erregung begriffen und begrüßten sie die Debatte als Offensive im "Kulturkampf" auf dem Weg zur "metahysischen Gründung der "Berliner Republik". Derzeit ist die erste Fieberwelle abgeflaut, Sloterdijk scheint sich etwas aus der Rolle des Protagonisten zurückzuziehen und bereitet einen Folgekongreß für Dezember auf Schloß Elmau vor. Faschismus oder harmlos? Revolutionierung oder belanglos?
http://kulturkritik.net/Philosophie/Sloterdijk/text_sloterdijk.html




Sloterdijk selbst:

Die Frage ist, wie gehen wir mit unseren Entführern um. Ich finde, es wäre eine Überforderung, wenn man seine Entführer auch noch lieben soll. Wenn ich mich schon darauf einlasse, politische Philosophie für die post-imperiale Welt zu machen oder planetarisches Denken zu versuchen, dann fühle ich mich ohnedies wie von Aliens entführt, und es wäre zuviel verlangt, so zu tun, als wäre man darüber erfreut. Philosophie heute ist die Kunst, unmittelbar zum Globus und seinen Bewohnern zu sein. Das ist eine athletische Aufgabe, die ein einigermaßen belastbares Gemüt voraussetzt. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, noch zusätzlich visionär zu sein oder zusätzlich noch Idealismus als eine Art von schöngeistigem Puderzucker über unseren Problemberg zu streuen. Verfügbarkeit für große Fragen ist immer schon idealistisch genug. In meinen Augen genügt es vollauf, wenn ein Mensch sich in der Wehrlosigkeit gegenüber den großen Themen einigermaßen anständig verhält, also wenn er seinen Beitrag zur Entidiotisierung des eigenen Ichs und seiner Umwelt leistet. Ich glaube nicht, daß es notwendig ist, noch zusätzlich wie ein idealistischer Priester eine Vision zu entwickeln. Das, worauf Sie mit Ihrer Frage hinaus möchten, läßt sich jedoch noch auf eine andere Weise beantworten. Was heute die Probleme, die uns entführen und mitnehmen, angeht, so sind sie so großräumig, so kompliziert, so zudringlich, so beängstigend, daß ich jeden der Träumerei verdächtige, der so tut, als habe er diese Probleme gern. Es geht im Augenblick doch darum, daß Menschen aus ihrer kleinräumigen Phantasiestruktur, aus ihrer regionalen und nationalen Bewußtseinsverfassung herausgebrochen werden - ob sie wollen oder nicht. Die Seelenformen des Bürgertums und Kleinbürgertums in der ersten Welt werden umformatiert, um es mit einem Ausdruck aus der Computersprache zu sagen. Wir werden umformatiert von einem humanistisch-nationalistischen Welthorizont auf einen ökologisch-globalen. Oder zumindest auf einen, der sich einläßt auf die Synchronwelt des Kapitals, des globalen Waren- und Informationenverkehrs, also auf das, was man die Weltwirtschaft nennt.
[...] Genauso wie Platon mit der Gründung einen Menschentypus evoziert und erzogen hat, der verkehrsfähig wurde in der Großwelt der sich abzeichnenenden großhellenischen Kultur, die dann eine Generation später schon den Aufstieg des Mazedonischen Weltreiches gesehen hat, das seinerseits ins Römische Imperium inkorporiert wurde. Damals wurden Seelenformen herangezogen, die im neuen imperialen Horizont verkehrsfähig werden sollten. Und wir erleben heute, daß die Wirklichkeit von uns, wenn wir uns nicht mutwillig bornieren, eben wieder eine solche Umformatierung, eine Größerformatierung abverlangt, eine Verkehrsfähigkeit mit allen koexistierenden Kräften in einem jetzt globalisierten Großraum.
http://www.lettre.de/archiv/36_sloterdijk.html






Also wollen wir mal ein paar Möglichkeiten ( ;) ) festhalten :


I) Sloterdijk ist ein planloser Verschwörungstheoretiker
pro:
- eine präzise logische Argumentation und ähnliche Konventionen werden gemieden
- Habermas als hochgradig illuminierter Drahtzieher
- die Medien werden grundsätzlich manipuliert, wenn sie negativ über ihn berichten
contra:
- zu machtopportun, wenige Anzeichen von Paranoia

II) Sloterdijk ist ein faschistoider Neuplatoniker:
pro:
- Menschenzüchtungsphantasien
- schürt Wünsche nach großen Figuren
- wer soll uns denn manipulieren, wenn nicht die Philosophen?
contra:
- wirkt eher naiv als dogmatisch

III) Sloterdijk ist eine Marionette von Monsanto / Syngenta / den Raelianern / den Illuminaten / der globalen Finanzelite / der Wirtschaft / dem Staat (bitte persönlichen Vorlieben entsprechend streichen)
pro:
- anti-humanistische Stoßrichtung
- biopolitische Forderungen
- starke mediale Unterstützung
- "Umformatierung", "Verkehrsfähigkeit" etc. als Notwendigkeit
contra:
- zumindest Monsanto könnte sich inzwischen wohl bessere Leute kaufen

IV) Sloterdijk wollte eigentlich immer Fantasy-Schriftsteller werden, kennt jedoch zu viele Fremdwörter, um einfache Belletristik zu schreiben, und versucht sich nun bald als Quereinsteiger über "Das philosophische Quartett" beim ZDF in bester platonischer Tradition als Drehbuchautor für "Stargate - Atlantis"
pro:
- subjektiver Eindruck
contra:
- die Evidenz

;)



Ernsthaft bemerkenswert finde ich allerdings noch folgende Umstände:


Sloterdijks Ehrgeiz geht aber noch weiter: Er mischte sich in die Programmpolitik des Suhrkamp-Verlages ein, erstellte ein negatives Gutachten über dessen Theorie-Programm und will dieses zugunsten seiner eigenen essayistischen Art, Philosophie zu treiben, verändern. Dieses Einmischen führte zwischenzeitlich zum frustrierten Aufgeben des früheren Cheflektors für das Theorieprogramm, während Sloterdijk neben Jürgen Habermas zum Programmberater avancierte.

Und, man traut seinen Augen kam, dieser Sloterdijk wurde - neben Ulrich Beck und dem 70jährigen, sich langsam zurückziehenden Jürgen Habermas - zum Programmberater ernannt, der auch mithelfen soll, Nachfolger für Herborth zu suchen. Weiter ist zu hören, daß Unseld Sloterdijk für den bedeutendsten zeitgenössischen Philosophen halte. Die Fachphilosophen sind in dieser Frage allerdings anderer Meinung, für sie sind Sloterdijks Arbeiten schlicht unseriös, um noch eine der harmloseren Formulierungen zu verwenden. Und die Abneigung ist wohl gegenseitig; jedenfalls hält Sloterdijk von dem jetzigen Wissenschaftsprogramm wenig. Die Vermutung liegt nahe, daß der Kurswechsel auf seinen Einfluß zurückgeht.
http://www.information-philosophie.de/philosophie/sloterdijk02.html



Recht Interessant ist auch folgender Bericht über Erfahrungen mit Sloterdijk im Schulunterricht:
http://www.information-philosophie.de/philosophie/sloterdijkunterricht.html

Und hier noch ein m.E. lesenswerter Text, relativ fair und ausgewogen:
http://www.uni-rostock.de/fakult/philfak/fkw/iph/thies/Sloterdijk.html



Was zeitgenössische Philosophen angeht würde ich übrigens eher Giorgio Agamben oder auch Robert B. Brandom empfehlen.



@ Giacomo_S & agentP

Bei dem Versuch, eure offtopic-Diskussion über die Benutzung von Fremdwörtern im Kontext wissenschaftlicher Publikationen auf Sloterdijk zu beziehen, wären gerade beinahe ein paar meiner Synapsen in Streik getreten :lol:
Sloterdijk als Fachwissenschaftler, der eine mit Fremdwörtern versehene Sprache benutzen muss, um seine hochkomplexen Gedankengänge angemessen ausdrücken zu können, ist schon eine lustige Darstellung. Das Beispiel "bukolisch" passt hierzu auch wie angegossen :D


mfg
 

agentP

Ritter Kadosch
10. April 2002
5.361
Sloterdijk als Fachwissenschaftler, der eine mit Fremdwörtern versehene Sprache benutzen muss, um seine hochkomplexen Gedankengänge angemessen ausdrücken zu können, ist schon eine lustige Darstellung. Das Beispiel "bukolisch" passt hierzu auch wie angegossen
Wie die richtig festgestellt hast waren wir offtopic. Es ging mir zumindest gar nicht konkret um Sloterdijk, sondern um diese leidige Diskussion, ob es für Wissenschaftler grundsätzlich irgendeine Verpflichtung gibt so zu formulieren, daß Hinz und Kunz das auch verstehen. Und das halte ich für absurd.

Ich persönlich mag ja Leute wie Sloterdijk oder Diedrichsen gerade deswegen, weil man ein wenig gefordert ist. :)

Den Begriff "bukolisch" finde ich eigentlich wenig störend. In der mündlichen Abiturprüfung durfte ich seinerzeit ein Stück "bukolische Dichtung" mit dem Gedicht eines deutschen Romantikers vergleichend interpretieren. Man scheint also hierzulande davon auszugehen, daß zumindest Abiturienten die im Kollegstufendeutschunterricht nicht komplett gepennt haben mit diesem Begriff schon mal in Berührung gekommen sind. :wink:
 

hives

Ritter Rosenkreuzer
20. März 2003
2.785
agentP schrieb:
Sloterdijk als Fachwissenschaftler, der eine mit Fremdwörtern versehene Sprache benutzen muss, um seine hochkomplexen Gedankengänge angemessen ausdrücken zu können, ist schon eine lustige Darstellung. Das Beispiel "bukolisch" passt hierzu auch wie angegossen
Wie die richtig festgestellt hast waren wir offtopic. Es ging mir zumindest gar nicht konkret um Sloterdijk, sondern um diese leidige Diskussion, ob es für Wissenschaftler grundsätzlich irgendeine Verpflichtung gibt so zu formulieren, daß Hinz und Kunz das auch verstehen. Und das halte ich für absurd.

Ich persönlich mag ja Leute wie Sloterdijk oder Diedrichsen gerade deswegen, weil man ein wenig gefordert ist. :)

Den Begriff "bukolisch" finde ich eigentlich wenig störend. In der mündlichen Abiturprüfung durfte ich seinerzeit ein Stück "bukolische Dichtung" mit dem Gedicht eines deutschen Romantikers vergleichend interpretieren. Man scheint also hierzulande davon auszugehen, daß zumindest Abiturienten die im Kollegstufendeutschunterricht nicht komplett gepennt haben mit diesem Begriff schon mal in Berührung gekommen sind. :wink:

Durchaus, aber unterhalten hat mich eher der inhaltliche Verlauf dieses Threads. Den Übergang vom Sloterdijk- Geplänkel zum "entsprechend tiefen Eintauchen" in philosophische Materie fand ich eben lustig :D
Der direkte Bezug auf Sloterdijk war eine Art satirische Überspitzung ;)
 

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