Israelis äußern sich kritisch zur Politik in ihrem Land

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BrettonWoods

Geheimer Meister
5. Juni 2003
304
Unentschieden
von Uri Avnery
uri-avnery.de / ZNet Deutschland 05.07.2003


Nach den Wörtern “Intifada” (Abschütteln) und „Shahid“ (Märtyrer) findet ein neuer arabischer Terminus den Weg in das Weltvokabular: „Hudna“ (Waffenstillstand). Nach islamischer Tradition erinnert dieses Wort an ein historisches Ereignis. Der 1. islamische Waffenstillstand wurde (nach christlicher Zeitrechnung) im Jahr 628 in Hodaibiya im Laufe von Mohammeds Krieg gegen den heidnischen Fürst von Mekka geschlossen. Nach der Version, die jetzt in Israel die Runde macht, brach Mohammed den Waffenstillstand und eroberte Mekka. Folglich: Vertraut den Arabern nicht, habt auch kein Vertrauen in die Hudna! In den arabischen Geschichtsbüchern wird dasselbe Ereignis völlig anders dargestellt. Die Hudna erlaubte den Anhängern des neuen Glaubens, Mekka zu betreten, um zum Heiligen Stein zu pilgern. Die Pilger nützten die Gelegenheit, um andere zu bekehren. Als die meisten Bürger den Islam angenommen hatten, betrat Mohammed fast ohne Blutvergießen die Stadt, ja wurde mit offenen Armen empfangen. Also: Schon in ihrer frühesten Geschichte war den Muslimen klar, dass Überzeugung besser ist als Gewalt.

Hier liegt die Antwort auf die Fragen, die jetzt gestellt werden: wird die Hudna eingehalten? Wird sie nach den anfänglichen 3 Monaten weitergeführt? Wird es Arafat und Abu Mazen gelingen, die Hamas auch dafür zu gewinnen ?

Die Antworten sind völlig von der Stimmung der palästinensischen Bevölkerung abhängig. Wenn sie die Hudna will, wird sie eingehalten. Wenn sie die Hudna aber nicht will, wird sie gebrochen. Die Hamas möchte die allgemeine Sympathie durch das Brechen der populären Hudna nicht verlieren. Im Gegenteil, sie möchte eine größere Rolle im zukünftigen palästinensischen Staat spielen. Doch wenn die Bevölkerung zu der Folgerung kommt, dass die Hudna keine Früchte gebracht hat, dann wird die Hamas die erste sein, die sie brechen wird. Wovon hängt dies ab? Wenn die Hudna dem Volk einen größeren politischen Fortschritt und eine spürbare Verbesserung der Lebensqualität des einzelnen mit sich bringt, wird sie populär und wird Wurzeln fassen.

Das ist logisch und entspricht meinen eigenen persönlichen Erfahrungen. Ich habe in diesen Kolumnen schon manchmal erwähnt, dass ich in meiner frühen Jugend ein Mitglied einer Befreiungs- –und/ oder Terrororganisation war ( Die Definition hängt vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab). In jener Zeit lernte ich, dass solch eine Organisation öffentliche Unterstützung benötigt und nicht ohne sie operieren kann. Sie braucht Geld, Propagandamittel, Verstecke, neue Mitglieder. Für eine Organisation wie die Hamas, die auch politische und soziale Ambitionen hat, ist Popularität doppelt wichtig. So lange die Hudna populär ist, wird sie an ihr festhalten.

Das ist in erster Linie ein Test für Abu-Mazen. Was kann er tun, um die Hudna populär zu machen? Er muss die großzügige Freilassung palästinensischer Gefangener sicherstellen, die Verbesserung der verheerenden Lebensbedingungen; den Rückzug der israelischen Armee aus den Städten und Dörfern; die Entfernung der Checkpoints, die das Leben der Palästinenser unerträglich machen; die Wiederherstellung der Bewegungsfreiheit, um zu den Stadtzentren, den Arbeitsplätzen, Krankenhäusern, Universitäten zu gelangen; eine Beendigung der „gezielten Tötungen“, Deportationen, Zerstörung von Häusern und Fruchtbäumen; das Einfrieren der Bautätigkeit in den Siedlungen und ein Stopp des „Zaun“-Baus, der einen großen Teil des palästinensischen Landes frisst.

Sollte es in diesen Dingen keinen Fortschritt geben, wird die Hudna zusammenbrechen. Sollte dies geschehen, wird das israelische Militär und das politische Establishment dem keine Tränen nachweinen. Dort war die Hudna ziemlich zähneknirschend begrüßt worden, als ob sie von irgend einer feindlichen Macht auferlegt worden sei. Tatsächlich kam sie unter direktem amerikanischem Druck zustande. Die israelischen Medien, die inzwischen alle ein Propagandainstrument des „Sicherheitsapparates“ geworden sind, erhielten die Hudna einstimmig, wie durch einen Befehl, mit Kommentaren wie : „Die hat doch keine Chance – die wird nicht lange halten“ – einer Prophezeiung, die sich selbst beweisen kann.

Das Armee-Kommando war gegen den Waffenstillstand. Wie immer erklärten die Offiziere, dass der Sieg nur noch hinter der nächsten Ecke liege, dass nur noch ein letzter entscheidender Schlag nötig sei. Genau dies, sogar mit denselben Worten, wurde von den französischen Generälen gesagt, die gegen die Beendigung des Krieges in Algerien waren, und von den amerikanischen Generälen, als Nixon in Vietnam aufgab. Dies wurde von den russischen Generälen in Afghanistan gesagt, und nun sagen sie dasselbe in Tschetschenien. Sie sind immer gerade dabei, den Sieg zu gewinnen. Sie benötigen immer nur noch einen einzigen Schlag. Und es sind immer die korrupten Politiker, die den Dolch in ihren Rücken stoßen und so die Niederlage verursachen.

Die Wahrheit aber ist, dass die Armeekommandeure eine klägliche Niederlage erlitten haben. Sie hatten viele kleine Erfolge, aber sie haben ihr Hauptziel verfehlt: den Willen des palästinensischen Volkes zu brechen.. Anstelle eines jeden „lokalen Führers“, der gezielt liquidiert wurde, traten zwei neue. Die „terroristische Infrastruktur“ wurde nicht zerstört, weil es kein Mittel gibt, sie zu zerstören. Sie besteht nämlich nicht aus Waffenwerkstätten und Führern, sondern aus der allgemeinen Unterstützung und der Zahl der Jugendlichen, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren und zu opfern. Nach 1000 Tagen wurde trotz des Tötens und der Zerstörung der palästinensische Widerstandsgeist nicht gebrochen und ihre Kampffähigkeit nicht zerstört. Das palästinensische Volk hat die Forderungen, die es in Camp David und Taba zum Ausdruck brachte, nicht aufgegeben. Zu Beginn dieser Intifada gab es ein paar Freiwillige für Selbstmordattentate; zuletzt standen Hunderte bereit.

Auch die Palästinenser haben nicht gewonnen. Sie haben bewiesen, dass sie nicht auf die Knie gezwungen werden können. Sie haben verhindern können, dass die palästinensische Sache nicht von der Weltagenda gestrichen wurde. Die israelische Wirtschaft ist schwer angeschlagen. Die Intifada hat Schatten auf das tägliche Leben in Israel geworfen. Viele der Akte, die von Israelis als kriminell betrachtet werden, werden von den Palästinensern als heldenhafte Taten angesehen. Die Zerstörung israelischer Panzer, die Eliminierung eines großen Kontrollpunktes durch einen einzigen Scharfschützen, der Angriff durch ein palästinensisches Kommando, das unter der „Trennungsmauer“ durchkroch – solche Akte haben die Palästinenser mit Stolz erfüllt. Und allein die Tatsache, dass der palästinensische David weiterhin dem mächtigen israelischen Goliath standhält und trotzt, ist in sich selbst schon eine erstaunliche Leistung, die den kommenden Generationen stolz weitergegeben wird.

Doch ist es den Palästinensern nicht gelungen, ihren Willen gegenüber Israel durchzusetzen – genau so wenig, wie es Israel nicht gelungen ist, seinen Willen gegenüber den Palästinensern durchzusetzen. Die Israelis sind, genau wie die Palästinenser, erschöpft. Diese Intifada ist – für den augenblicklichen Zeitpunkt - mit einem Unentschieden zu Ende. Moshe Yaalon, ein Generalstabschef mit unstillbarer Redelust, hat den Sieg erklärt. Aber am selben Tag haben in einer angesehenen israelischen Meinungsumfrage 73% der Befragten die Meinung geäußert, dass Israel nicht gewonnen habe, und 33% sahen sogar die Palästinenser als Sieger an. Das größte Massenblatt des Landes überschrieb eine Geschichte über den Generalstabschef mit den ironischen Worten: „Zu Ihrer Information: Wir haben gewonnen!“ Die Mehrheit der Bevölkerung glaubt nicht, dass die Hudna eingehalten wird. In der Zwischenzeit ist jeder ohne menschliche Opfer vorübergehende Tag für beide Seiten ein reiner Gewinn.

Und was nun? Wirkliche Verhandlungen? Verhandlungen, die nicht mehr sind als bloße Spiegelfechterei? Bemühungen beider Seiten, den Amerikanern zu gefallen? Amerikanischer Druck auf beide Seiten, um ein paar wirkliche Taten vorzuweisen? Fragt Condoleeza!
 

fumarat

Erhabener auserwählter Ritter
21. Januar 2003
1.133
"Welches Land im Nahen Osten verschweigt den Besitz von atomaren und biologischen Waffen und lässt keine internationalen Kontrollen zu?" Mit dieser provokanten Frage bewarb die BBC just zu Beginn des Irak-Kriegs ihren Report über Israels geheimes Waffenprogramm. Als dieser Bericht dann vor zweieinhalb Wochen auch weltweit ausgestrahlt wurde, reagierte Israels Regierung drastisch: Alle Kontakte zur BBC wurden abgebrochen, Interviews werden bis auf weiteres verweigert. Aus den Kabelnetzen des Landes ist der Sender schon seit Monaten entfernt.

Das Weltjournal bringt am Mittwoch diesen umstrittenen Bericht der BBC-Journalistin Olenka Frenkiel. Sie ruft das Schicksal des "Atomspions" Mordechai Vanunu in Erinnerung - er hatte 1986 aus Gewissensgründen die britische Zeitung Sunday Times über das israelische Nuklearprogramm informiert, wurde vom Mossad aus Italien entführt und sitzt seither im Gefängnis. Sie beschäftigt sich mit dem geheimen Atomreaktor Dimona in der Negev-Wüste, den viele Experten für ein Sicherheitsrisiko halten, sie beleuchtet kritisch, wie unterschiedlich die internationale Staatengemeinschaft, vor allem die USA, mit dem Thema Massenvernichtungswaffen im Fall Israels umgeht. Es sind nicht neue Fakten, die den Bericht brisant machen, es ist die kritische Darstellung der Mauer des Schweigens, die Israel um seine Waffen gebaut hat.

Israel hat immer wieder die feindlich gesinnten Nachbarn, das hohe Sicherheitsbedürfnis des Landes als Motiv für seine Verteidigungspolitik angeführt. Nun wirft die Regierung Sharon der BBC anti-israelische Tendenzen vor, ihre Berichterstattung leiste dem Antisemitismus Vorschub. Das Weltjournal möchte seinen Zuschauern die Möglichkeit geben, sich selbst ein Urteil zu bilden.
(Quelle: orf.at)

Grüße fumarat
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
Wenn das Töten zur Routine wird
14.07.2003
Gideon Levy

http://www.haaretz.com/hasen/pages/ShArt.jhtml?itemNo=317251&sw=Jirdath

Anfang Juni fuhr Nabil Jirdath (48), ein Bekleidungshändler und Vater von 8 Kindern, von seinem Geschäft in Jenin zu seinem Haus in dem Dorf Silath al-Harthiya. In seinem Auto begleiteten ihn 7 seiner Familienangehörigen, unter ihnen auch Kinder. Plötzlich wurde das Auto mit leichten Waffen von einem auf der Hauptstraße aufgestellten Panzer beschossen. Jirdath wurde schwer verletzt und starb einige Tage später.

Es ist möglich, daß die Soldaten den Insassen des Fahrzeugs Angst einjagen wollten, der Fahrer des Autos war aus Angst vor dem Panzer auf eine nicht-asphaltierte Straße ausgewichen. Und so eröffneten die Soldaten das Feuer auf das Fahrzeug auf große Entfernung. Das Ergebnis war ein schrecklich unnötiger Tod, der, wie in so vielen anderen Fällen, für die israelische Öffentlichkeit von keinerlei Interesse war.

Der Mangel an Interesse jedoch, der von der Israel Defense Forces (IDF, israelische Armee) in diesem Fall gezeigt wurde, nahm grauenvolle Züge an: es stellte sich heraus, daß das Büro des Sprechers der IDF keine Kenntnis von dem Vorfall hatte. Jemand wird getötet, aber es wird keine Untersuchung eingeleitet und der Vorfall wird nirgends festgehalten - als wenn ein Tier das Opfer wäre. Ist es möglich, daß die Soldaten in dem Panzer es nicht einmal in Betracht gezogen haben, ihre Vorgesetzten davon zu unterrichten, daß sie jemanden getötet hatten?

Eine weitere Woche verging nachdem der IDF-Sprecher zugesagt hatte, die Angelegenheit zu untersuchen und der Abgeordnete Isaac Herzog (Labor-Partei) brachte einen Antrag für einen Tagesordnungspunkt über den Vorfall in der Knesset ein. Das Verteidigungsestablishment sagte erneut, daß es nicht über das Ereignis wußte.Der stellvertretende Verteidigungsminister bat um eine weitere Woche, um die Angelegenheit zu untersuchen.

Fast ein Monat ist seit dem Vorfall vergangen, aber niemand weiß, warum die Soldaten Nabil Jirdath getötet haben.

Sie anzuklagen steht natürlich völlig außer Frage. Aber welchen Unterschied macht das? Der Tod ist schon in Vergessenheit geraten. Nur der Familie des Verstorbenen, eine wohlhabende Familie, die viel Handel mit Israel getrieben und dort viele Freunde hat, wir der Schmerz bleiben.

Und mal ehrlich: welchen Unterschied macht es, ob die Soldaten den Vorfall gemeldet haben oder nicht? Warum sollten sie sich anstrengen, einen Bericht zu machen, wenn sie wissen, daß in jedem Fall niemand irgend etwas mit dem Bericht anfangen wird? Eine Situation, in der IDF-Soldaten einen unschuldigen Zivilisten töten und das Gefühl haben, daß nichts passiert ist, das einen Bericht lohnen würde, ist wirklich erschreckend und die Verantwortung hierfür liegt bei dem Büro des Leiters der Militärjustiz (Judge Advocate General, JAG), wo schon zu Beginn der Intifada entschieden worden war, die meisten Fälle von Tötungen in den besetzten Gebieten nicht weiter zu untersuchen.

Von den 2.235 Palästinensern, die von der IDF getötet worden sind ist es nur in 8 Fällen zu Anklagen gegen Soldaten gekommen. Keiner wurde bisher verurteilt.

Dem gleichen Muster wurde letzten Sommer gefolgt, als das Auto in dem wir waren, das Haaretz-Auto, in Tul Karm beschossen worden war: kein höherer Offizier bemühte sich an den Ort des Vorfalls und die Soldaten machten mit ihrer täglichen Routine weiter als sei nichts geschehen. Die Insassen des Fahrzeugs wurden nie wegen der Umstände des Vorfalls befragt.

Und was sagt der IDF-Offizier, der für die Einhaltung der Gesetze in der Armee verantwortlich ist, zu all dem?

In einem Haaretz-Interview letzten Donnerstag sagte der Leiter der Militärjustiz, Generalmajor Menahem Finkelstein, daß "es unmöglich ist, 2.000 Untersuchungen von 2.000 Todesfällen durchzuführen, wenn wir zu einem großen Prozentsatz von militärischer Aktivität par excellence reden." Das ist eine wütend machende Aussage, denn zu der Zeit, als Finkelsteins Einheit beschloß, Fälle von Tötungen nicht weiter zu untersuchen waren weniger als 200 Palästinenser getötet worden.

Und so haben wir das Recht zu fragen, ob es eine Übertreibung ist, anzunehmen, daß, wenn sich das Büro des Leiters der Militärjustiz s entschieden hätte, jede Fall von Tötungen zu untersuchen - wenigstens zu untersuchen - wie es in der ersten Intifada geschehen ist, die Zahl der Getöteten vielleicht nicht 2.235 erreicht hätte. Vielleicht wäre nur die Hälfte getötet worden.

Vom moralischen Standpunkt aus ist Finkelsteins Bemerkung - in der er sagt, daß die große Anzahl der getöteten Menschen der Hauptgrund dafür ist, die Tode nicht zu untersuchen - verwerflich. Man stelle sich nur vor, wie die Reaktion wäre, wenn die Polizei erklären würde, daß sie Mordfälle in Zukunft nicht mehr untersuchen würde, weil es einen starken Anstieg solcher Vorfälle gegeben habe.

Ist dem Leiter der Militärjustiz nicht klar, daß er durch seine Entscheidung einen Freifahrtsschein für Tötungen ausgestellt hat? Ein Soldat, der weiß, daß ihm nichts passieren wird, wenn er jemand ohne Rechtfertigung tötet ist ein Soldat mit einem gestörten Wertesystem. Der Gedanke, daß seine befehlsgebenden Offiziere sich nicht um die Tötung eines Palästinensers kümmern werden hat moralische Konsequenzen, die sehr tief gehen und seine Persönlichkeit für den Rest seines Lebens beeinflussen werden. Hast Du einen Palästinenser getötet? Das interessiert uns nicht. Das ist die Nachricht, die das Büro des Leiters der Militärjustiz den Soldaten im Feld sendet.

Wenn wir danach urteilen können, was in der Grenzpolizei passiert, wo Straftäter sowohl untersucht als auch angeklagt werden, weil die Untersuchungen von einer externen Behörde (die Abteilung für innere Angelegenheiten des Justizministeriums, die alle Straftaten innerhalb der Polizei untersucht) durchgeführt werden, wäre es vermutlich das Beste, die Untersuchungen von Tötungen durch Soldaten ebenfalls von einer externen Behörde durchführen zu lassen, die nicht nur versucht, ihren Vorgesetzten gefällig zu sein.

Im Verlauf der Intifada sind die Leben von Palästinensern iin den Augen der Soldaten wertlos geworden. Das Töten unschuldiger Passagiere, unbewaffneter Passanten und von Zivilisten in ihren Häusern hat längst aufgehört, eine Absonderheit zu sein. Zusätzlich zu dem politischen und sicherheitstechnischen Preis, den das kostet, hat das Phänomen auch Auswirkungen auf den moralischen Charakter der IDF.

Das Büro des Leiters der Militärjustiz hat einen nicht unwichtigen Teil bei der Schaffung dieser Situation gespielt.

Die IDF ist zweifellos sehr zufrieden mit ihm: er ermöglicht die Tötung von Palästinensern nicht nur ohne ein Einschreiten des Obersten Gerichts oder B'Tselem (der Menschenrechtsorganisation) - der beiden Organisationen, über die Yitzhak Rabin sich als Verteidigungsminister während der ersten Intifada beschwert hatte - sondern auch ohne einen Leiter der Militärjustiz. Deshalb ist es schon lange her, daß sich Soldaten und Offiziere beschwerten, daß sie "einen Rechtsanwalt an ihrer Seite brauchen."

"Wir werden keine Kriegsverbrechen billigen" versprach der Leiter der Militärjustiz selbstgerecht in dem Haaretz- Interview. Nur wie kann er wissen, ob Kriegsverbrechen begangen worden sind und wie viele, wenn er keine Untersuchungen durchführt?
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
Unsere geckenhafte Selbstgerechtigkeit

von Shulamit Aloni

Ha'aretz / ZNet Deutschland 23.07.2003



Seit Beginn der Intifada sind mehr als 800 Israelis, meist Zivilisten von Palästinensern getötet worden. Wir nennen dies zu recht „Mord“. Einige wurden durch Selbstmordattentäter getötet, die andern durch andere Mordinstrumente. Zur selben Zeit sind mehr als 2200 Palästinenser durch Israelis getötet wurden – einige als bewaffnete Verdächtige und fast alle mit den Waffen unserer Soldaten. Wir nennen diese Todesfälle nicht „Morde“.

Aber vielleicht sollten diese Tötungen auch als Morde bezeichnet werden. All diese Todesmaschinen, die vom Himmel kommen, die Panzer und Scharfschützen sind auf den „Feind“ ausgerichtet, wie der Generalstabschef sagt oder in „kriegerischen Operationen“, wie der Judge Advocate (Staatsanwalt?) General (JAG) Menachim Finkelstein sagt. Und deswegen ist es unnötig, die Soldaten zu verhören und die Mörder von Zivilisten gerichtlich zu belangen. Außerdem, fügt der gesetzestreue JAG hinzu, ist es unmöglich 2000 Untersuchungen über 2000 Todesfälle durchzuführen.“ (Haaretz 10.Juli 2003) Aber er führte keine Untersuchungen durch, als es nur 50 Fälle von ermordeten Palästinensern gab oder als es 100 davon gab. Also warum soll man Mörder und Peiniger/ Rechtsbrecher vor Gericht bringen, jetzt wo es so viele sind. Moment mal, er fand schließlich acht Fälle, Schießunfälle, die untersucht werden müssen.

Und natürlich kann man jüdisches Blut nicht mit palästinensischem Blut vergleichen. Die Palästinenser benützen die schreckliche Waffe des Selbstmords, während auf unserer Seite alles ästhetisch und elegant ist. Bomben fallen vom Himmel und die Piloten gehen sicher nach Hause; die Panzer feuern mit Granaten voll spitzer Pfeile, und unsere gedrillten Scharfschützen treffen jedes ihrer Ziele. Natürlich fragt keiner jemals : welches Ziel? Wir bekämpfen den „Feind“ und eine große Zahl der „Morde“ sind Kriegshandlungen. Natürlich bekämpfen sie – die Palästinenser – nicht einen Feind. Sie bekämpfen eine aufgeklärte Besatzung, die darum gepokert hat, ihnen die letzten 36 Jahre die Herrschaft zu übertragen, fand es aber sehr schwierig, weil sie auf Land leben, das uns vor 1900 Jahren gehörte, und weil wir es nur für uns selbst wollen.

Oder sind wir vielleicht ein gieriger Besatzer, plündern ihr Land ( wenigstens so weit es uns betrifft) reißen Bäume aus, demolieren Häuser, und vertreiben und brechen in ihre Häuser ein. Und immer noch nicht sind wir ein Feind und immer noch denken wir, wir sind eine aufgeklärte Besatzung. Und unser Generalstabschef tut alles nur Mögliche, um ins Bewusstsein der Besetzten einzubrennen, dass man seinen Besatzer lieben sollte, der sie im eigenen Haus als Gefangene hält, bis sie alle hungrig und vollkommen gedemütigt sind. Und all dies darum, um sie dahin zu bringen, endlich zu begreifen, wer die Herren des Landes sind und wer die Diener.

Alles was ich hier schreibe, ist allen bekannt – aber es ist verboten, es laut auszusprechen, weil es unpatriotisch sei. Schließlich ist alles, was wir tun, so, damit unsere Feinde uns nicht einen 2. Holocaust bescheren. So wird es uns erklärt – immer und immer wieder.

Und wie können unsere Feinde uns einen 2. Holocaust bescheren? Offensichtlich muss dies nicht hinterfragt werden. Schließlich haben wir Frieden mit Ägypten und Jordanien und der Irak ist keine Bedrohung und der Iran ist ein Problem für die ganze Welt.

Also vor wen fürchten wir uns? Vor den Palästinensern? Ist das nicht ein schlechter Witz? Aber uns ist es nicht erlaubt , dies zu sagen, weil unser jüdischer Verfolgungswahn sehr ernst zu nehmen ist. Die Leute von der PR der Armee und die Gierigen nach Groß-Israel wissen, wie man dies sehr gut manipuliert. Und das ist der Grund, warum es uns erlaubt ist, sie zu töten und zu morden und umzubringen, ohne dass es eine Anklage oder eine Gerichtsverhandlung gibt; wir dürfen ihre Patrioten ohne Erklärung, ohne Gerichtsverhandlung und Zeitlimit verhaften. Und natürlich wurden einige nur zu „Handelszwecken“ verhaftet, genau so wie es Terroristenbanden tun. Falls jemand in unserer Regierung das Töten wirklich zu einem Ende bringen will und der Saat des Todes auch, dann muss er die palästinensischen Gefangenen befreien – nicht die Diebe und Einbrecher - aber jene, die wir zu „Feinden“ erklärt haben, und dadurch sollten wir das Töten der Hunderten und Tausenden von ihnen rechtfertigen. Befreit werden sollten auch die, „die Blut an den Händen haben“. Haben die Scharfschützen oder Piloten, die Tod gesät haben, nicht auch Blut an den Händen? Unsere geckenhafte Selbstgerechtigkeit. Die gänzliche Gefühllosigkeit des JAG, der sich sehr um die Drückeberger (Militärverweigerer) sorgt und hinter ihnen herjagt, der es aber zu schwierig findet, Mörder zu verfolgen, weil es so viele sind. Uns ist anscheinend alles erlaubt, denn wir sind „die letzten Opfer“, auch wenn wir die Besatzer sind und die Macht haben.

Genug! Die Besatzung ist zu teuer, zu anstrengend, zu zerstörerisch. Lasst die politischen Gefangenen gehen – die alten und die neuen. Gebt dem Ende des Mordens eine Chance und der Stille und in ihrer Folge: gebt dem Frieden eine Chance! Es wäre die Sache wert, einmal die Macht der Großzügigkeit, des guten Willens und der Aufrichtigkeit auszuüben.

(Die Autorin ist ein früheres Mitglied der Knesset und war Ministerin von Meretz)
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
Interview: Kein Ende in Sicht

Jon Elmer interviewt Gideon Levy

mit Gideon Levy

FromOccupiedPalestine.org / ZNet 18.09.2003


John Elmer:
Gerade komme ich aus der Mukata, Arafats Gebäudekomplex in Ramallah. Ich habe mit den Menschen auf der Straße gesprochen - sie kamen, um ihre Solidarität mit ihrem belagerten Führer zu bekunden -, und alle waren sich sicher, die Ermordung Arafats wäre eine Katastrophe. Ein Mann sagte mir: “Dann gibt es ein Erdbeben - nicht nur in Israel sondern überall in der arabischen Welt”. Die Drohung, Arafat zu ermorden - ist das nur israelisches Getöse oder eine reale Möglichkeit?

Gideon Levy:
Leider durchaus eine Möglichkeit - selbst wenn es nur irrtümlich geschieht: Sie kommen, wollen ihn rauswerfen (und er wehrt sich). Aber ich denke, die Folgen sind gar nicht so das Hauptthema. In erster Linie bin ich der Meinung, ein demokratischer Rechtsstaat ermordet keine Leute. Eine abscheuliche Diskussion in meinen Augen. Er ist der gewählte Führer des palästinensischen Volks, und ich weiß nicht, ob Scharon weniger Blut an seinen Händen hat als Arafat. Die Idee an sich - politische Führer zu ermorden -, das macht mich wirklich krank.

Elmer:
Aber anscheinend diskutiert man darüber überall in der israelischen Gesellschaft. In einem ihrer jüngsten Artikel zitieren Sie eine Umfrage der größten israelischen Tageszeitung, Yediot Ahronoth, aus der hervorgeht, dass eine Mehrheit der Israelis der Meinung ist, man solle Arafat töten. Dabei glaubt eine Mehrheit gleichzeitig nicht daran, dass dies den Terror stoppen könnte; vielleicht würde es ihn sogar verschlimmern. Was sagen Ihnen diese Zahlen?

Levy:
Die Leute sind durch die Medien einer Gehirnwäsche unterzogen. Immer und immer wieder wird ihnen gesagt, Arafat ist der einzig Schuldige. Neulich war ein Cartoon in der Ha’aretz. Eine Familie steckt mit ihrem Auto fest; aus dem Motor kommt Rauch. Sie sitzen auf der Straße, und der Vater sagt: “Oh, vielleicht sollten wir ein Attentat auf Arafat machen!” Genau darum geht es: Anstatt sich den wirklichen Gründen für den Terror (zuzuwenden), finden Regierung und Medien alle möglichen anderen Ventile - eines davon ist Arafat. Aber wenn die Leute einer solchen Gehirnwäsche unterzogen sind und denken, er sei das einzige Hindernis für den Frieden, dann ist doch sonnenklar, dass sie auch dafür sind, dieses Hindernis zu beseitigen.

Elmer:
Dieses Gerede, einen gewählten Führer zu liquidieren und dazu noch die brutale Okkupation - ist das nicht eigentlich unvereinbar mit der “einzigen Demokratie in Nahost”?

Levy:
Absolut. Vor einigen Monaten habe ich einen Artikel verfasst mit dem Titel: ‘Half a democracy’ (eine halbe Demokratie). Darin behaupte ich, ebensowenig, wie man nur ein bisschen schwanger sein kann - entweder, du bist schwanger oder du bist es nicht -, kann man halb demokratisch sein. Man kann nicht einfach eine Linie ziehen und sagen, auf einem bestimmten umgrenzten Gebiet sind wir eine Demokratie, und auf der anderen Seite der Linie sind wir undemokratisch. Oder: Ich bin nur demokratisch gegenüber einem Volk, und dem anderen gegenüber, es lebt auf demselben Land, bin ich es nicht. Heute ist es ein Mythos (dass Israel eine Demokratie ist). Ja, Israel ist eine Demokratie, - eine wirkliche, liberale Volldemokratie - aber eben nur für die jüdischen Bürger und nur innerhalb der Grenzen des alten Israel, innerhalb der Grenzen von 1967. Das übrige (Israel) - auf der anderen Seite der Linie - könnte gar nicht weiter entfernt sein von Demokratie. Dort besteht eines der brutalsten und grausamsten Regime in der heutigen Welt.

Elmer:
Sie haben geschrieben: “Es gibt keinen Israeli, der nicht wüsste, dass die letzten drei Jahre die grausamsten waren, die die palästinensische Nation je sah. Und dennoch - erstaunlicher- und traurigerweise - ist der Rabin-Platz, der nationale Protestplatz, verwaist. Es ist nahezu unmöglich zu begreifen, dass seit mehr als einem Jahr keine Massendemonstrationen gegen die Besatzung stattfanden, inmitten dieser ungeheuerlichen Realität... Apathie ist ein böses Omen” (‘The empty square’ (der leere Platz), Ha’aretz vom 7. Sept. 2003). Gibt es überhaupt eine Chance, dass die Okkupation endet, ohne dass sich an dieser Tatsache etwas ändert? Hängt alles letztendlich von den israelischen Bürgern ab?

Levy:
Vielleicht hängt es an den Israelis - vielleicht aber auch an der amerikanischen Regierung. Ich wünschte, wir sähen eine amerikanische Administration, die Israel dazu zwingt, die Okkupation zu beenden - eine Administration, die Israel vor sich selbst retten würde. Aber weder die Israelis noch die Amerikaner tun ja wirklich etwas. Und - leider - ist für die nächsten Jahre kein Fortschritt zu erwarten. Eine andere Variante, wie die Okkupation enden könnte - die schlechteste - wenn genug Blut fließt. Vielleicht wird das schließlich der Weg sein.

Elmer:
Glauben Sie, das könnte wirklich geschehen? Glauben Sie, die Terrorattacken führen in Israel zu einem Erdbeben, das Israel zum Frieden bewegt?

Levy:
Genau so ist es damals im Libanon passiert. Wären nicht soviele israelische Soldaten gefallen, wir wären ewig dort geblieben. Aber als das Maß voll war, war das Maß voll. Aber in dem Fall hier (wird) viel mehr Blut (nötig sein), um die Besatzung zu enden.

Elmer:
Sie haben eine Kollegin, Amira Hass, sie ist die einzige jüdische Reporterin, die in den Besetzten Gebieten lebt. Und Sie selbst sind einer der wenigen - wenn nicht gar der einzige - israelische Reporter, der regelmäßig in die Gebiete geht, um für seine Geschichten zu recherchieren. Sie sagten einmal, “die Tatsache, dass die allermeisten Medien ignorieren, was passiert, enthebt die Bürger Israels nicht ihrer Verantwortung”. Aber welche Bedeutung hat dieses verhängte Schweigen für die öffentliche Meinung in Israel tatsächlich?

Levy:
Eine entscheidende. Das primäre Problem ist der Mangel an Information. Die Israelis wissen Bescheid, sie haben eine Vorstellung, aber sie wissen nicht alles. Gut informiert sind sie nicht. Die Information, die sie erreicht - für gewöhnlich ist sie entstellt und einseitig. Nehmen wir Mythen wie: “Es gibt keinen Partner für den Frieden” - es ist ein von Ehud Barak verbreiteter Mythos. Solange die Leute das glauben, sind die politischen Konsequenzen kritisch. Denn, haben wir keinen echten Partner - wie Barak behauptet hat, und die meisten Israelis nehmen es ihm ab -, dann sollten wir (in den Besetzten Gebieten) bleiben, und wir können dort so grausam sein wie möglich. Das Problem fängt beim Informationsfluss an - er ist lückenhaft, verzerrt und sehr, sehr destruktiv.

Elmer:
Wie wird innerhalb Israels auf Ihre Arbeit reagiert?

Levy:
Das hat sich in den Jahren etwas geändert. Einerseits wurde nie behauptet, meine ‘Tatsachen’ entsprächen nicht den Tatsachen. Man hat mir nie vorgeworfen, ich erzählte Lügengeschichten. Aber da Israel inzwischen so apathisch ist, interessiert es die Leute nicht mehr - und das ist das Allerschlimmste. Letzten Freitag () habe ich eine Geschichte veröffentlicht, in der es um eine Schwangere ging, die in einem Checkpoint niedergekommen ist. Und (am 18. September) werde ich erneut eine Geschichte über eine Schwangere bringen, die in einem Checkpoint gebar. Die Erste hat ihr Kind verloren, die Zweite glücklicherweise nicht. Noch vor wenigen Jahren hätten solche Geschichten zu irgendwelchen Reaktionen geführt. Heute - nichts. Es interessiert die Leute schlichtweg nicht.

Elmer:
Laut neuesten Zahlen wurden in der Intifada mehr als 10 000 Kinder verletzt (laut Palestine Monitor). Der erfahrene Kriegskorrespondent Chris Hedges beschreibt in seinem Buch ‘Gaza Diaries’, wie israelische Soldaten in Khan Yunis Kinder zunächst provozierten und dann erschossen: “Auch in anderen Konflikten, aus denen ich berichtete, wurden Kinder erschossen - in El Salvador und Guatemala wurden sie von Todesschwadronen niedergemäht, in Algerien wurden Frauen mit ihren Kleinkindern in einer Reihe aufgestellt und massakriert, und in Sarajevo nahmen serbische Heckenschützen Kinder ins Visier und beobachteten, wie sie auf dem Straßenpflaster krepierten - aber noch nie zuvor hatte ich gesehen, wie Soldaten Kinder wie Mäuse in die Falle lockten und sie dann zum Spaß ermordeten” (‘Gaza Diaries’, erschienen bei Harpers, Okt. 2001). Können Sie das kommentieren - aus Ihrer Erfahrung als Reporter in diesem Konflikt?

Levy:
Leider kommt es der Wahrheit ziemlich nah. Die meisten israelischen Soldaten behandeln Palästinenser ja nicht wie menschliche Wesen. Für sie ist es der Feind - alle. Sie behandeln sie wie Tiere. Und wenn man sie wie Tiere behandelt, dann gibt es keinen Unterschied... keinen Unterschied zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Man unterscheidet ja auch nicht zwischen einer alten Kuh und einer jungen Kuh. Alle behandelt man gleich. Hat man erstmal seine Menschlichkeit verloren, die Haltung, sie als menschliche Wesen zu behandeln, dann kennt man keinen Unterschied mehr zwischen Kindern und Erwachsenen. Hier stehen wir also. Ich erlebe diese Dinge Woche für Woche, immer und immer wieder. Es ist unvermeidlich. Solange die Okkupatio weitergeht, solange sind diese Dinge unvermeidlich.

Elmer:
Das israelische Militär hat Journalisten verprügelt, verhaftet, eingesperrt, es hat dutzende Journalisten niedergeschossen und 5 von ihnen getötet - seit Beginn der Intifada. Alle waren klar als Journalisten zu identifizieren. James Miller etwa. Auf AP-Filmmaterial sieht man, wie er eine weiße Fahne trägt. Er brüllt, er sei britischer Journalist, als ihn israelische Truppen in Gaza point-blank erschießen. Rafaelle Ciriello wurde während ‘Operation Schutzschild’ getötet. Das ‘International Press Institute’ bezeichnete (die Tat) als “Teil einer konzertierten Strategie der israelischen Armee, um die Berichterstattung über die jüngste Woge bewaffneter Feindseligkeiten in der Region zu kontrollieren”. Ermorden die Israelis Journalisten?

Levy:
Nein, ich denke, die israelischen Soldaten sind einfach schießwütig. Sie legen nicht gezielt (auf) Journalisten an. Sie töten einfach alles, was sich bewegt - mag es ein Journalist sein oder ein Mitglied der Internationalen Solidaritätsbewegung oder irgendein Palästinenser.

Elmer:
Kürzlich schrieben Sie: “Existiert irgendjemand, der uns zwingt, unseren wahnwitzigen Galopp den Blutpfad hinunter zu stoppen?” Jetzt, zum Schluss: Können Sie diese Frage beantworten?

Levy:
Diese Person ist nicht in Sicht. Im Moment sehe ich niemanden, der eine dramatische Wende in der öffentlichen Meinung bewirken könnte.

Elmer:
Also werden sich die Dinge weiter verschlimmern? Und kein Ende in Sicht?

Levy:
Exakt.

Gideon Levy ist Journalist der israelischen Tageszeitung Ha’aretz

Jon Elmer ist Redakteur von FromOccupiedPalestine.org; derzeit berichtet er aus Israel- Palästina.
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
wahre worte...man möge ihnen ein offenenes ohr wünschen:


Ein Brief aus Israel

von Ran Ha Cohen

ZNet Deutschland 25.09.2003

Der Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes (26.9.2003) ist eine ausgezeichnete Möglichkeit für das, was jüdische Tradition Kheshbon Nefesh nennt oder ein In-Sich-Gehen und über sog. „Antisemitismus“ nachzudenken, der jetzt zum einzigen bedeutsamsten Element jüdischer Identität geworden ist.

Juden mögen an Gott glauben oder nicht glauben, sie mögen Schweinefleisch essen oder nicht essen, in Israel leben oder nicht dort leben – sie werden alle durch eines mit einander verbunden: durch den unbegrenzten Glauben an den Antisemitismus. Wenn ein Palästinenser einen unschuldigen israelischen Zivilisten tötet, dann ist dies Antisemitismus. Wenn Palästinenser einen Soldaten der israelischen Besatzungsarmee in ihrem eigenen Dorf angreifen, ist es AS. Wenn die UN-Hauptversammlung mit 133 zu 4 gegen Israels Entscheidung, den gewählten palästinensischen Führer zu ermorden, stimmt, bedeutet dies, dass außer den USA, Mikronesien und den Marschallinseln alle anderen Länder rund um den Globus antisemitisch sind. Sogar wenn eine hochschwangere Palästinenserin an einem israelischen Checkpoint festgehalten wird und sie deshalb auf offenem Feld ein Kind gebiert, so ist die einzige Lektion aus dem Artikel des Haaretz-Journalisten Gideon Levy, dass er antisemitisch sei. (Er hat übrigens von zwei derartigen Fällen in den vergangenen 2 Wochen berichtet: eins der Neugeborenen starb an Ort und Stelle.)

Antisemitismus ist eine all-umfassende Erklärung. Alles was anti-palästinensischen Ohren missfällt, ist ein weiteres Beispiel für AS. Jüdisches Bewusstsein, das sich auf AS konzentriert, hat die Form von antisemitischen Verschwörungstheorien angenommen, wie die Protokolle der Weisen von Zion, wobei der klassische Antisemit jedes Unglück jüdischer Verschwörung zurechnet. Juden rechnen jede Kritik an Israel antijüdischer Verschwörung zu. Wie wir sehen werden, ist dies nicht die einzige Ähnlichkeit zwischen anti- palästinensischer Haltung und antisemitischer Haltung.

Es ist höchste Zeit, dies deutlich und laut auszusprechen: während der ganzen jüdischen Geschichte seit dem Babylonischen Exil im 6. Jhdt. hat es keine bessere Zeit gegeben als die unsere: nie gab es weniger AS. Es gab für Juden nie eine bessere Zeit als die, in der wir leben.

Bis etwa vor zwei Generationen war der AS eine legitime, politische, kulturelle Haltung bei den meisten führenden Weltmächten. AS war etwas, was man offen aussprechen konnte, worauf man sogar stolz war. Juden nicht zu mögen, war so natürlich, wie man heute Ungeziefer verachtet. Heute ist AS ein Tabu und in jedem entwickelten Land der Erde ein kriminelles Vergehen. Selbst wirklich antisemitische Gruppen verleugnen ihren antisemitischen Charakter, da sie wissen, dass dies politisch unannehmbar ist. Nicht wie in früheren Jahrhunderten, wo AT in direktem Verhältnis zur Zahl der Juden im entsprechenden Land stand und so eine reale Bedrohung für sie darstellte – sind die Länder, in denen heute Antisemitismus herrscht (meist arme muslimische Länder) praktisch ohne Juden, sodass die aktuelle Gefahr für sie minimal ist: Vertreter muslimischer Gemeinschaften im Westen müssen ihre antisemitische Haltung als Vorbedingung ablegen, wenn sie ins politische System aufgenommen werden wollen.

Nur wenige Generationen vorher – lassen wir den Holocaust zunächst beiseite – wurden Juden in allen größeren Konzentrationen wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Ihnen wurden fast universal die bürgerlichen und religiösen Rechte vorenthalten. Da gab es Beschränkungen beim Zugang zur Universität und vielen Berufen, beim öffentlichen Dienst und jeder Machtposition. Manchmal war sogar das Heiraten und Kinderkriegen von Quoten und Lizenzen abhängig. Solche institutionalisierte Diskriminierung und Unterdrückung ist heute nicht nur völlig abgeschafft: sie ist einfach unvorstellbar. Mit einer enthüllenden Ausnahme: (Israel, wo nicht-orthodoxe religiöse Juden benachteiligt werden) erfreuen sich Juden aller religiösen Freiheit, wo immer sie sich befinden. Sie haben volle Staatsangehörigkeit, wo immer sie leben mit vollen politischen, zivilen und Menschen- Rechten wie jeder andere Bürger auch. Das mag trivial klingen, aber bis vor nur wenigen Generationen und während des 1. und 2. Jahrtausends war es nicht so. Unterdrückerische Regime brachen entweder zusammen oder die jüdische Bevölkerung verließ das Land.

Heutzutage könnte ein orthodoxer Jude das mächtigste Amt der Welt übernehmen und Präsident der USA werden ( Ich persönlich hoffe, dass er – Joe Lieberman – nicht gewinnen wird). Ein Jude kann Bürgermeister von Amsterdam sein – in einem antisemitischen Holland; ein Minister im „antisemitischen“ Britannien, ein führender Intellektueller im antisemitischen Frankreich, ein Präsident der antisemitischen Schweiz, der Hauptherausgeber der größten Tageszeitung im antisemitischen Dänemark oder ein industrieller Magnat im antisemitischen Russland. Das wäre vor hundert Jahren unvorstellbar gewesen. Juden haben heute unbegrenzten Zugang zu jeder Institution in jedem Land, in dem sie leben. Ironischerweise wird ein konvertierter Jude als möglicher Nachfolger auf den Heiligen Stuhl genannt. Gleichzeitig schenkt das antisemitische Deutschland ( inzwischen Heimat der am schnellsten wachsenden jüdischen Gemeinschaft) Israel drei Unterseeboote, das antisemitische Frankreich hat Israel mit dem Know-how nuklearer Technik für Massenvernichtungswaffen versehen und das antisemitische Europa hat Israel als das einzige nicht europäische Land zu allem eingeladen, sei es Fußball oder Basketball-Ligen oder zu Eurovision- Liederwettbewerben und hat israelischen Universitäten einen besonderen Status für wissenschaftliches Fund-Rising gewährt.

Der Holocaust ist die größte Katastrophe in der jüdischen Geschichte gewesen und gehört zu den größten Verbrechen der menschlichen Geschichte – aber allein die Tatsache, dass diese Worte so offensichtlich und klar klingen, ist ein klarer Sieg über den Antisemitismus. Der Ausdruck Genozid, von einem jüdischen Überlebenden des Holocaust (R. Lemkin) geprägt und mit dem Genozid nur der Juden verbunden, fand seinen Weg in die internationale Gesetzgebung und ist als Verbrechen von fast allen Ländern der Erde – am Ende auch ( mit beschämend langer Verzögerung) auch von den USA bestätigt worden. Der Holocaust ist mit Recht der Prototyp des Völkermords geworden, ein Synonym für Verbrechen gegen die Menschheit. Da gab es noch einige andere Völkermorde im 20. Jahrhundert, bedeutsam genug, um sie zu erwähnen: der armenische Völkermord durch die Türken ( der dem Holocaust vorausging und ihn mit anregte); oder der Völkermord an den Tutsi durch die Hutu in Ruanda ( der noch „effizienter“ war als der Holocaust). Während andere Völkermorde immer noch darum kämpfen, anerkannt zu werden, ist der Holocaust jedoch der einzige Völkermord, der fraglos soweit anerkannt wird, dass seine Leugnung in einigen Ländern als Verbrechen angesehen wird. Kein anderer Genozid kommt rund um die Welt an nahezu 250 Gedenkmuseen und Forschungsinstitutionen, die dem Holocaust gewidmet sind, und keine anderen Genozidüberlebenden sind finanziell so kompensiert worden wie verfolgte Juden. Wer in solch einer Welt zweimal pro Tag „Antisemitismus“ schreit, trägt eine schwere Bürde des Beweises auf seiner Schulter.

Im Staat Israel sind antisemitische Aussagen immer zynisch ausgenützt worden und je nach Belieben wurden tatsächliche Antisemiten entweder verurteilt oder es wurde mit ihnen zusammengearbeitet. Um nur ein kleineres Beispiel aus der letzten Woche zu nennen: als die Welt durch die Behauptung von Italiens Herrscher Berlusconi -- sein faschistischer Vorgänger Mussolini „hätte niemanden getötet sondern nur auf Ferien ins Exil geschickt“ -- gröblich beleidigt wurde, so war das ziemlich nah an einer Holocaustverleugnung. Die einzige offizielle israelische Reaktion war die eines ungenannten Sprechers des 2. Ministers im Finanzministerium, der folgendes murmelte: „Falls diese Worte gesagt worden sind, kann man diesen nicht zustimmen; denn die Geschichte spricht für sich selbst“ (Haaretz 14.9. S.12 unten) Der Grund für dieses Sich-taub-stellen ist einfach: Berlusconi hat innerhalb Europa - wie alle rechten Extremisten - eine entschieden Pro-Israel-Haltung. Also darf er sogar den Holocaust leugnen, wenn er will. Israel hat dafür Verständnis. Schließlich war Israel der nächste Verbündete des rassistischsten Regimes in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg, des Apartheidregimes von Südafrika. Moralische Erwägungen haben in Israels Politik und Diplomatie niemals eine Rolle gespielt. Auf Staatsebene mag man dies mit Realpolitik entschuldigen. Die institutionelle Pro-Israel- Lobby hat ihre Integrität in dem Ausmaß kompromittiert, dass ich nicht überrascht wäre, wenn die Anti-Defamation-Liga, die täglich blinden Alarm wegen Antisemitismus schlägt, nun den faschistischen Apologeten Berlusconi als einen ausgezeichneten Staatsmann hinstellt. Tatsächlich hat genau dieser Weltrekord an Heuchelei in dieser Woche stattgefunden.

Viel beunruhigender ist jedoch die gezielte Ausflucht gegenüber Antisemitismusbehauptungen durch jüdische Personen oder Institutionen, die versuchen, ein integeres Ansehen zu bewahren. Solche Behauptungen nehmen viele kreative Formen an: z.B. haben einige Juden einen moralisch abstoßenden Zeitvertreib, indem sie auf die schlimmsten Fälle von Unterdrückung schauen: russische Gräueltaten in Tschetschenien ( deren Veteranen, nebenbei gesagt, sich der israelischen Armee angeschlossen haben) chinesische Gräueltaten in Tibet – was vermutlich „beweist“, dass der Medienschwerpunkt auf Israel antisemitisch motiviert sei. Als ob es nicht schon abscheulich genug ist, in die engere Wahl der Übeltäter gezählt zu werden, als ob nur die Goldmedaille bei diesem satanischen Wettbewerb und nicht die bronzene oder silberne, ein Protest wert wäre. Und ich frage mich, wie viele jener Sessel-pro-Israel-Tibetspezialisten sich tatsächlich jemals ernsthaft gefragt haben, was sie tun könnten, um Tibet zu befreien, außer dessen Leid auszunützen und damit von Israels Gräueltaten abzulenken. Der Missbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verabscheuungswürdig. Es waren Hunderte von Jahren nötig und Millionen von Opfer, um Antisemitismus – eine spezielle Form von Rassismus, die historisch zum Genozid führte – in ein Tabu zu wandeln. Menschen, die dieses Tabu missbrauchen, um Israels rassistische und genozidale Politik gegenüber den Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes, als die Erinnerung an jene jüdischen Opfer zu schänden, deren Tod aus humanistischer Perspektive nur insofern Sinn hat, als er eine ewige Warnung an die Menschheit ist vor allerart von Diskriminierung, Rassismus und Genozid.

Und außerdem die Täter als Opfer darzustellen – ein übliches Kennzeichen anti- palästinensischer Propaganda – ist genau das, was Antisemitismus immer getan hat: in Schmähschriften wird das wehrlose jüdische Opfer als Schänder christlicher Kinder dargestellt oder in der größten Anklage des Christusmordes, die die Verfolgung früher Christen missbrauchte, um die Verfolgung der Juden zu legitimieren, als sich das Kräftegleichgewicht der Macht geändert hatte. Dadurch dass die jüdischen Opfer der Vergangenheit heraufbeschwört werden, um die jüdischen Täter von heute zu verteidigen, - denk daran, dass Israel eines der mächtigsten Militärs der Erde hat – ist dies abgesehen davon ein moralischer Fehler und peinlicherweise dem Antisemitismus selbst ähnlich.

Ein gutes Neues Jahr 5764

Ran HaCohen lehrt in der Abteilung Vergleichende Literatur an der Tel Aviv Universität und ist Literaturkritiker für die israelische Tageszeitung Yedioth Ahronoth, Israels verbreiteteste Tageszeitung.
 

Kendrior

Intendant der Gebäude
25. Februar 2003
869
Ein beeindruckender Text, der viel Grund zur Hoffnung gibt. Wenn alle Juden so denken... vielleicht...?
Ach, nein, unwahrscheinlich. :(
 

Woppadaq

Großmeister-Architekt
2. August 2003
1.228
ich glaube manchmal, daß die Juden die einzigen sind, die über Israel kritisch schreiben können, ohne in den Verdacht zu geraten, antisemitisch zu sein.

Eigentlich schade.

Wenn ich mir übrigends die Beschreibung zu Zionismus durchlese, steht da, selbiger seieigentlich Antisemitismus.

Was wäre, wenn ich mich als ganz klarer Antizionist outen würde ?
Wäre ich dann sofort ein Antisemit (obwohl sich das ja eigentlich widerspricht) ?
 

Kendrior

Intendant der Gebäude
25. Februar 2003
869
Wenn Zionismus Antisemitismus ist, und du Antizionist bist, bist du ein Semit. Da Semiten so ziemlich jeder Bewohner des Nahen Ostens sind, wenn ich mich nicht irre ( zu faul zum nachschauen) darf ich dich hiermit freudig in unserem Land begrüßen, Woppadaq :D
Erzähl doch mal, ist es heiß dort?
 

Elbee

Vorsteher und Richter
28. September 2002
730
@ samhain

Dass es in Israel tierische innenpolitische Probleme gibt, merkt man ja wirklich überdeutlich sogar im letzten Winkel dieses Globus. Ein Fleck so groß wie Saarland und eine Medienpräsenz wie Dieter Bohlen in seinen besten Skandaltagen, gerade eben. Seit Jahren geht das schon so, und selbst Chomsky im fernen NY glaubt sich schon auf verlorenem Posten, weil es partout Lands- und Volksleute gibt, die ihre Genossen ungefragt vereinnahmen wollen für undurchsichtig formulierte Eigeninteressen. Andere Menschen jüdischen Glaubens buntester Nationalitäten wagen schon gar nicht mehr ihre Identität preiszugeben, was schon fast so verheimlichend ist, als ob man als Deutscher (steht halt im Pass herrje) im Jüdischen Museum in FFM beim Reinkommen nicht gleich mal vorsichtshalber Shalom sagt.

Ich selber (total deutsch) habe eine Menge beruflicher Kollegen und Freunde jüdischen Glaubens, die wie ich, z.B. in Holland am liebsten die Nummernschilder abkleben würden, um nicht in den Vorurteilstopf geschmissen zu werden. Ist doch langweilig.
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
Die Wahrheit über die Mauer

von Yigal Bronner

ZNet 05.10.2003

Am Morgen nach dem horrenden Terroranschlag auf das Café Hillel in Jerusalem wurde der israelische Finanzminister Binyamin Netanyahu in einem Radio-Interview gefragt, ob dies wirklich der richtige Zeitpunkt für Streichungen im Militärbudget sei. Er antwortete mit dem - erneuten - Versprechen, das Geld für den sogenannten “Trennungszaun” bliebe von den Kürzungen unberührt - diese Gelder würden im Gegenteil noch schneller fließen, um den Bau zu beschleunigen. Dies, so Netanyahu, mit dem Ziel, die Sicherheit der Bürger Israels zu gewährleisten. Ob der Zaun tatsächlich zu Frieden und Sicherheit führt - diese Frage zu stellen kam dem Interviewer gar nicht in den Sinn. Denn sobald die Gewalt eskaliert und die Debatte sich emotional aufheizt - so ist das mit allen Themen dieser Art -, wird es unmöglich, eine andere Meinung zu vertreten. Und Israels politische Parteien - das ganze Spektrum, von Meretz bis Likud - überschlagen sich mit Bekundungen ihrer Unterstützung für den “Zaun”. Folglich findet eine der dramatischsten geopolitischen Veränderungen in der Geschichte der Region in Abwesenheit jeglicher öffentlicher Debatte statt. Wir müssen innehalten und den Nebel der Mauer-Lügen durchdringen.

Die erste Lüge steckt schon in der Bezeichnung “Trennungszaun”: eine Vorstellung, die der erschöpften und besorgten israelischen Öffentlichkeit das Versprechen suggeriert, die Palästinenser, samt aller Probleme, die wir im Umgang mit ihnen haben, würden einfach “hinter dem Zaun” verschwinden. Wir hier, sie dort - und Friede uns allen. Aber der Zaun steht keineswegs für Trennung zwischen Palästinensern und Israelis - ganz im Gegenteil. Die jetzt im Bau befindliche Mauer führt dazu, dass Israel einen prozentual beträchtlichen Teil der Westbank annektiert. Hunderttausende Palästinenser werden somit auf der westlichen, also der israelischen, Seite der Mauer verbleiben - und auf der östlichen, der palästinensischen, Seite, dafür tausende jüdische Siedler. Separation ist das jedenfalls nicht.

Zweite Lüge: der Zaun konstituiere eine Grenze, auf deren östlicher Seite jener “Palästinenserstaat”, über den Scharon so gerne redet, gegründet werde. Wir sprechen aber nicht von einem einzelnen Zaun vielmehr von zwei Mauern - mindestens. Die eine - auf westlicher Seite - wird dem Gebiet der Palästinenser möglichst viele Kilometer wegstehlen, entlang der ‘Grünen Linie’, während durch die zweite Mauer - die östliche - abgelegene Siedlungen, wie Ariel oder Kiryat Arbah, annektiert werden. Zwischen den Mauern liegen verschiedene Arten von Hindernissen, Zäune und Gräben. Eine derartige Installation wird die bevölkerungsreichen Westbank-Zentren also irreversibel in isolierte Menschenkäfige verwandeln. Was hier entsteht, ist kein Staat vielmehr eine hingeworfene Ansammlung von Gettos. Nehmen wir zum Beispiel Jerusalem. Die Mauer, wie sie hier gebaut wird, ist nicht identisch mit der Trennlinie zwischen den jüdischen und den palästinensischen Stadtvierteln. Die palästinensischen Viertel werden durch sie allesamt in zwei Hälften geteilt - dadurch würden weit mehr als 100 000 Palästinenser annektiert. Hinzu kommt: Hunderttausende Palästinenser würden außerhalb des Zauns landen - die Mehrzahl von ihnen Einwohner Jerusalems mit gültigen israelischen Papieren, Leute, deren ganze Existenz von der Stadt abhängt u. mit ihr verbunden ist. Diese Menschen werden gehindert sein, in die Stadt zu kommen und wären somit abgeschnitten von ihrer Erwerbsquelle, von ihren Ausbildungszentren u. ihren Krankenhäusern. Nicht nur das, auch nach Osten können sie sich nicht wenden. Denn dort sähen sie sich umzingelt von Mauern und Straßen - gebaut, um (die jüdischen Siedlungen) Ma’aleh Adumim, Pisgat Zeev, Nokdim u. Tekoa zu umschließen. Kaum zu beschreiben, die Vielzahl humanitärer Probleme, die die Mauern auf östlicher Seite der Metropole Jerusalem erzeugen werden. Diese Seite wird in ein vielarmiges System von Einschlüssen aufgespaltet. Die israelische Öffentlichkeit ist jedoch nicht willens, diese humanitäre Frage zu berücksichtigen. Schließlich hat man ihnen versprochen, der Zaun werde ihnen die langersehnte Sicherheit bringen. Wobei wir bei der dritten Zaun-Lüge wären. Auch hier ist ein Blick auf die Situation Jerusalems lehrreich. Während der derzeitigen Intifada war Ost-Jerusalem die ruhigste palästinensische Region. Die Mauer, die mitten durch Straßen und Familien schneiden wird, wird jedoch viele Menschen hervorbringen, die nichts mehr zu verlieren haben. Und sind erst zehntausende Palästinenser an Israel angeschlossen, werden sie gleichzeitig abgetrennt sein von ihren Brüdern - während die (jüdischen) Siedler zunehmend bestrebt sind, die Oberhand zu gewinnen (in Har Homa, Jabel Mukkaber, Ras el Ammud, Sheikh Jarrakh sowie im muslimischen Viertel der Altstadt, etc. sind sie ja bereits). Auch das Projekt der Zerstörung palästinensischer Häuser wird einen massiven Schub erfahren, und die Regierung wird alles in ihrer Macht Stehende tun, um die palästinensischen Bürger rauszuwerfen. Was wir hier sehen, ist ein großes Fass Dynamit. Denn anstatt Ramallah u. Bethlehem von Jerusalem weiter zu entfernen, wird die Mauer diese Orte in die Stadt importieren.

Klar ist auch, diese Probleme werden sich nicht auf Jerusalem beschränken. Und natürlich gibt es auch Regionen - wenn auch wenige - in denen der Bauverlauf des Zauns mit der ‘Grünen Linie’ übereinstimmt, ohne palästinensisches Gebiet bzw. dessen Bewohner zu annektieren. Ein Beispiel hierfür sind Tulkarm und Kalkilyah. Aber wer die Illusion hegt, dieser Zaun werde Sicherheit bringen, macht sich etwas vor. Die Anhänger des Zauns pflegen ständig auf das Beispiel Gazastreifen zu verweisen. Ein faszinierendes Beispiel - in der Tat. Das umzäunte Gaza befindet sich praktisch hinter Schloss und Riegel - und das wegen einer Hand voll (jüdischer) Siedlungen, die zusammen einen beträchtlichen Teil des Lands kontrollieren. Es ist so friedlich dort, dass die israelische Armee (IDF) ständig nach einer Großinvasion ruft. Und die Airforce greift die Gegend kontinuierlich mit Granaten an. Die Sicherheit durch den Zaun wissen vor allem die (israelischen) Menschen in Sderot u. Ashkelon zu schätzen, die mit selbstgebastelten Raketen (aus Gaza) angegriffen werden - eine bekannte Tatsache. Denn solange die Okkupation währt, werden die Menschen von Gaza Widerstand leisten. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie bessere Waffen entwickelt haben und noch geschickter sind, sich durch oder unter den Zäunen durchzugraben bzw. über sie hinwegzusteigen.

Die Regierung Scharon missbraucht die Urängste des israelischen Volks in puncto Sicherheit bzw. den Wunsch der Mehrheit nach einer politischen Trennung von den Palästinensern, um ein System der Zäune zu errichten. Dieses System wird aber keine Trennung bringen, es wird keine Grenze schaffen und letztendlich auch keine Sicherheit bringen. Was wir mit diesem “Zaun” wiedereinaml sehen, ist ein typisches, durchkalkuliertes “scharonitisches” Täuschungsmanöver. Der wirkliche Zweck dieser Mauern liegt ganz woanders. Die Mauern sind gemeint als neue Schicht - vielleicht als ultimative - der komplexen Kontroll-Matrix israelischer Besatzung; diese Kontroll-Matrix besteht aus den Siedlungen, den Straßen, den Straßensperren, Ausgangssperren, Abriegelungen u. brutaler militärischer Gewalt. Zweck der Mauern, die Scharon jetzt errichten lässt, ist es, den israelischen Klammergriff um das Land, das es 1967 eroberte, irreversibel zu machen. Die Mauern sind der finale Sargnagel der Zwei-Staaten-Lösung. In anderthalb Jahren wird es für uns ein Erwachen geben - in einer drastisch veränderten Realität: Zwischen Jordan und Mittelmeer wird sich ein brutaler Staat erstrecken - ein Staat aus abgeriegelten Pferchen, gegen den die südafrikanische Apartheid rein gar Nichts war. Es wird nicht weniger Gewalt geben sondern mehr. Der Hass wird weiter zugenommen haben und auch der Rassismus. Wo das alles endet - darüber nachzudenken wäre einfach zu schrecklich.

Yigal Bronner lehrt an der Universität von Tel Aviv ‘Südasiatische Studien’ und ist Aktivist bei ‘Ta’ayush - arabisch-jüdische Partnerschaft’.
 

fumarat

Erhabener auserwählter Ritter
21. Januar 2003
1.133
Auszüge aus einem "offenen Brief aus Israel" von Ran haCohen, Tel Aviv Universität

Missbrauch von Anti-semitismus


Der Vorabend des jüdischen Neujahrsfestes (26.9.2003) ist eine ausgezeichnete Möglichkeit für das, was jüdische Tradition Cheschbon Nefesch nennt oder ein In-Sich-Gehen und über sogenannten "Antisemitismus" nachzudenken, der jetzt zum einzigen bedeutsamsten Element jüdischer Identität geworden ist.

Juden mögen an Gott glauben oder nicht glauben, sie mögen Schweinefleisch essen oder nicht essen, in Israel leben oder nicht dort leben – sie werden alle durch eines mit einander verbunden: durch den unbegrenzten Glauben an den Antisemitismus.
Wenn ein Palästinenser einen unschuldigen israelischen Zivilisten tötet, dann ist dies Antisemitismus. Wenn Palästinenser einen Soldaten der israelischen Besatzungsarmee in ihrem eigenen Dorf angreifen, ist es Antisemitismus. Wenn die UN-Hauptversammlung mit 133 zu 4 gegen Israels Entscheidung, den gewählten palästinensischen Führer zu ermorden, stimmt, bedeutet dies, dass außer den USA, Mikronesien und den Marschallinseln alle anderen Länder rund um den Globus antisemitisch sind. Sogar wenn eine hochschwangere Palästinenserin an einem israelischen Checkpoint festgehalten wird und sie deshalb auf offenem Feld ein Kind gebiert, so ist die einzige Lektion aus dem Artikel des Haaretz-Journalisten Gideon Levy, dass er antisemitisch sei. (Er hat übrigens von zwei derartigen Fällen in den vergangenen 2 Wochen berichtet: eins der Neugeborenen starb an Ort und Stelle.)

Antisemitismus ist eine all-umfassende Erklärung. Alles was anti-palästinensischen Ohren missfällt, ist ein weiteres Beispiel für Antisemitismus. Jüdisches Bewusstsein, das sich auf Antisemitismus konzentriert, hat die Form von antisemitischen Verschwörungstheorien angenommen, wie die Protokolle der Weisen von Zion, wobei der klassische Antisemit jedes Unglück jüdischer Verschwörung zurechnet. Juden rechnen jede Kritik an Israel antijüdischer Verschwörung zu. Wie wir sehen werden, ist dies nicht die einzige Ähnlichkeit zwischen anti-palästinensischer Haltung und antisemitischer Haltung.
Es ist höchste Zeit, dies deutlich und laut auszusprechen: während der ganzen jüdischen Geschichte seit dem Babylonischen Exil im 6. Jhdt. hat es keine bessere Zeit gegeben als die unsere: nie gab es weniger AS. Es gab für Juden nie eine bessere Zeit als die, in der wir leben.
... Selbst wirklich antisemitische Gruppen verleugnen ihren antisemitischen Charakter, da sie wissen, dass dies politisch unannehmbar ist. Vertreter muslimischer Gemeinschaften im Westen müssen ihre antisemitische Haltung als Vorbedingung ablegen, wenn sie ins politische System aufgenommen werden wollen.

Nur wenige Generationen vorher waren Juden fast überall Bürger zweiter Klasse. Ihnen wurden bürgerliche und religiöse Rechte vorenthalten. Da gab es Beschränkungen beim Zugang zur Universität und vielen Berufen, beim öffentlichen Dienst und jeder Machtposition. Manchmal war sogar das Heiraten und Kinderkriegen von Quoten und Lizenzen abhängig. Solche institutionalisierte Diskriminierung und Unterdrückung ist heute nicht nur völlig abgeschafft: sie ist einfach unvorstellbar. Mit einer enthüllenden Ausnahme: (Israel, wo nicht-orthodoxe religiöse Juden benachteiligt werden) erfreuen sich Juden aller religiösen Freiheit, wo immer sie sich befinden. Sie haben volle Staatsangehörigkeit, wo immer sie leben mit vollen politischen, zivilen und Menschen-Rechten wie jeder andere Bürger auch. Das mag trivial klingen, aber bis vor nur wenigen Generationen und während des 1. und 2. Jahrtausends war es nicht so.

Heutzutage könnte ein orthodoxer Jude das mächtigste Amt der Welt übernehmen und Präsident der USA werden ( Ich persönlich hoffe, dass er – Joe Lieberman – nicht gewinnen wird). Ein Jude kann Bürgermeister von Amsterdam sein – im antisemitischen Holland; ein Minister im antisemitischen Britannien, ein führender Intellektueller im antisemitischen Frankreich, ein Präsident der antisemitischen Schweiz, der Hauptherausgeber der größten Tageszeitung im antisemitischen Dänemark oder ein industrieller Magnat im antisemitischen Russland. Das wäre vor hundert Jahren unvorstellbar gewesen. Juden haben heute unbegrenzten Zugang zu jeder Institution in jedem Land, in dem sie leben. Ironischerweise wird ein konvertierter Jude als möglicher Nachfolger auf den Heiligen Stuhl genannt.

Gleichzeitig schenkt das antisemitische Deutschland ( inzwischen Heimat der am schnellsten wachsenden jüdischen Gemeinschaft) Israel drei Unterseeboote, das antisemitische Frankreich hat Israel mit dem Know-how nuklearer Technik für Massenvernichtungswaffen versehen und das antisemitische Europa hat Israel als das einzige nicht europäische Land zu allem eingeladen, sei es Fußball oder Basketball-Ligen oder zu Eurovision-Liederwettbewerben und hat israelischen Universitäten einen besonderen Status für wissenschaftliches Fund-Rising gewährt.

Der Holocaust ist die größte Katastrophe in der jüdischen Geschichte gewesen und gehört zu den größten Verbrechen der menschlichen Geschichte – aber allein die Tatsache, dass diese Worte so offensichtlich und klar klingen, ist ein klarer Sieg über den Antisemitismus. Der Ausdruck Genozid, von einem jüdischen Überlebenden des Holocaust (R. Lemkin) geprägt und mit dem Genozid nur der Juden verbunden, fand seinen Weg in die internationale Gesetzgebung und ist als Verbrechen von fast allen Ländern der Erde – am Ende auch ( mit beschämend langer Verzögerung) auch von den USA bestätigt worden. Der Holocaust ist mit Recht der Prototyp des Völkermords geworden, ein Synonym für Verbrechen gegen die Menschheit. Da gab es noch einige andere Völkermorde im 20. Jahrhundert, bedeutsam genug, um sie zu erwähnen: der armenische Völkermord durch die Türken (der dem Holocaust vorausging und ihn mit anregte); oder der Völkermord an den Tutsi durch die Hutu in Ruanda (der noch „effizienter“ war als der Holocaust). Während andere Völkermorde immer noch darum kämpfen, anerkannt zu werden, ist der Holocaust jedoch der einzige Völkermord, der fraglos soweit anerkannt wird, dass seine Leugnung in einigen Ländern als Verbrechen angesehen wird. Kein anderer Genozid kommt rund um die Welt an nahezu 250 Gedenkmuseen und Forschungsinstitutionen, die dem Holocaust gewidmet sind, und keine anderen Genozidüberlebenden sind finanziell so kompensiert worden wie verfolgte Juden. Wer in solch einer Welt zweimal pro Tag „Antisemitismus“ schreit, trägt eine schwere Bürde des Beweises auf seiner Schulter.

Im Staat Israel sind antisemitische Aussagen immer zynisch ausgenützt worden und je nach Belieben wurden tatsächliche Antisemiten entweder verurteilt oder es wurde mit ihnen zusammengearbeitet. Um nur ein kleineres Beispiel aus der letzten Woche zu nennen: als die Welt durch die Behauptung von Italiens Herrscher Berlusconi -- sein faschistischer Vorgänger Mussolini „hätte niemanden getötet sondern nur auf Ferien ins Exil geschickt“ -- gröblich beleidigt wurde, so war das ziemlich nah an einer Holocaustverleugnung. Die einzige offizielle israelische Reaktion war die eines ungenannten Sprechers des 2. Ministers im Finanzministerium, der folgendes murmelte: „Falls diese Worte gesagt worden sind, kann man diesen nicht zustimmen; denn die Geschichte spricht für sich selbst“ (Haaretz 14.9. S.12 unten) Der Grund für dieses Sich-taub-stellen ist einfach: Berlusconi hat innerhalb Europa - wie alle rechten Extremisten - eine entschieden Pro-Israel-Haltung. Also darf er sogar den Holocaust leugnen, wenn er will. Israel hat dafür Verständnis. Schließlich war Israel der engste Verbündete des rassistischsten Regimes in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg, des Apartheidregimes von Südafrika. Moralische Erwägungen haben in Israels Politik und Diplomatie niemals eine Rolle gespielt. Auf Staatsebene mag man dies mir Realpolitik entschuldigen. Die institutionelle Pro-Israel-Lobby hat ihre Integrität in dem Ausmaß kompromittiert, dass ich nicht überrascht wäre, wenn die Anti-Defamation-Liga, die täglich blinden Alarm wegen Antisemitismus schlägt, nun den faschistischen Apologeten Berlusconi als einen ausgezeichneten Staatsmann hinstellt. Tatsächlich hat genau dieser Weltrekord an Heuchelei in dieser Woche stattgefunden.

...Der Missbrauch von angeblichem Antisemitismus ist moralisch verabscheuungswürdig. Es waren Hunderte von Jahren nötig und Millionen von Opfer, um Antisemitismus – eine spezielle Form von Rassismus, die historisch zum Genozid führte – in ein Tabu zu wandeln. Menschen, die diesen Vorwurf missbrauchen, um Israels Unterdrückung der Palästinensern zu unterstützen, tun nichts anderes, als die Erinnerung an die Opfer zu schänden, deren Tod aus humanistischer Perspektive nur insofern Sinn hat, als er eine ewige Warnung an die Menschheit ist vor allerart von Diskriminierung, Rassismus und Genozid.

www.hagalil.com


Grüße fumarat
 

Gorgona

Erhabener auserwählter Ritter
7. Januar 2003
1.177
Ich finde die aufgeführten Stimmen aus Israel bewundernswert. Vor allem im Hinblick auf die Gefahr hin, dass sich diese Menschen gefallen lassen müssen als unpatriotisch oder Nestbeschmutzer beschimpft zu werden.

Ich glaube, dass wir aus deutscher Sicht oft den Nationalismus eines anderen Landes nicht begreifen können, weil wir ihm entwachsen sind. Deutschland musste dafür einen grausamen Preis bezahlen indem es den Nationalismus bis zur Spitze getrieben hat. Viele Menschen sind gestorben um den Wahn den Nationalismus zu befriedigen.

Es folgte eine Zeit in der der Nationalismus in jeder Form als Bedrohung angesehen wurde und so sind wir erzogen worden. In der Überzeugung dass Stolz auf ein Land oder eine Nationalität zu sein ohne Fundament da steht. Sicher gibt es viele Ausnahmen aber sie bestätigen bekanntlich die Regel.

Ich finde es nur traurig, dass sich andere Länder kein Beispiel an der deutschen Geschichte nehmen.

Und gerade Israel darf sich hier seiner Verantwortung aus seiner eigenen Geschichte heraus nicht entziehen.

Ich möchte hier einen protestanitischen Priester zitieren der bei seiner Befreiung aus dem KZ folgendes gesagt haben soll(aus einer Doku aufegschnappt):
"Als sie die Juden abholten, da habe ich nichts gesagt, denn ich war kein Jude.
Als sie die Homosexuellen abholten, da habe ich nichts gesagt, denn ich war kein Homosexueller.
Als sie die Zigeuner abholten, da habe ich nichts gesagt, denn ich war kein Zigeuner.
Als sie dann mich abholten, war keiner mehr da, der etwas sagen konnte."
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
ein eindrucksvolles beispiel von zivilcourage in zeiten, wo der irrsinn zur normalität erhoben wird:

>>Gottesdienst im Olivenhain

Israelische Rabbiner beschützen palästinensische Bauern vor den Übergriffen jüdischer Siedler - indem sie ihnen demonstrativ bei der Ernte helfen

JERUSALEM, im November. Arik Ascherman bändigt sein schwarz gelocktes Haar mit einer großen Kippa. Die jüdische Kopfbedeckung dient auch als Hinweis auf seinen Beruf. Ascherman ist Rabbiner, allerdings einer, den israelische Siedler nicht schätzen. Neulich haben sie ihn und ein paar seiner Kollegen gar mit Fußtritten, Schlägen und Steinen attackiert. Ihre Rechnung dafür, dass Ascherman mit einer Delegation der "Rabbis für Menschenrechte", einer gewaltlosen Friedensorganisation, einen palästinensischen Olivenhain im nördlichen Westjordanland inspizierte, den Unbekannte mit Kettensägen über Nacht verwüstet hatten.

In dem Gerangel mit den Siedlern rutschte Aschermans Kippa vom Kopf. Und sie erlaubten ihm nicht mal, die runde Kappe vom Boden aufzuheben. Weil er hier ohnehin nichts verloren habe. Ascherman hat es geschmerzt - "ausgerechnet von Juden so behandelt zu werden". Nicht, dass einer wie Ascherman von dem Vorfall viel Aufhebens machen würde. Er erzählt darüber unterwegs im Auto, diesmal in den Süden der Westbank, in das Bergland hinter Hebron, während das Handy fast pausenlos klingelt. Alles Mögliche muss koordiniert werden: die seinem Wagen folgende Fahrzeugkolonne, in der ein paar Dutzend freiwillige israelische Erntehelfer sitzen, dazu die palästinensischen Dörfler aus Tarkumia, die bereits am Straßenrand warten. Ihr vereinter Einsatz soll sicherstellen, dass auch die Oliven auf dem Land, das an Siedlungen grenzt, gepflückt werden können.

Diese Partnerschaft hat sich bewährt. Angefangen hat sie vor drei Jahren, als sich Palästinenser aus Hares nicht mehr die Früchte ihres Grund und Bodens einzusammeln wagten, nachdem bewaffnete Bewohner der nahe gelegenen Siedlung Rivera auf sie geschossen hatten. Auf den Notruf aus Hares hin organisierte Ascherman im Namen der "Rabbiner für Menschenrechte" die erste große Solidaritätsaktion nach Beginn der Intifada. Das Beispiel machte Schule auch andernorts im Westjordanland. In der Saison, meist von Mitte Oktober bis in den Dezember hinein, sind Aschermans Rabbiner und Helfershelfer fast täglich mit dabei. Es ist ihre Art von Gottesdienst auf den Feldern.

Für die palästinensischen Bauern, deren magere Einkünfte größtenteils aus dem Ölverkauf stammen, ist der Rabbi-Einsatz überlebenswichtig. Man darf das durchaus wörtlich verstehen. Im vergangenen wie auch im Jahr davor, erinnert sich Ascherman, gab es gar Fälle von Mord, begangen von fanatischen Siedlern an palästinensischen Farmern. Und immer geschah die Tat im Olivenhain.

In Adora, einer jüdischen Kolonie über dem Dorf Tarkumia, wartet eine Überraschung auf den Trupp aus Jerusalem. 1 200 Olivenbäume im Besitz von Palästinensern und von ihnen seit Jahrzehnten kultiviert, befinden sich dort innerhalb einer Umzäunung, die die Adora-Siedler voriges Jahr im weiten Radius um ihre feste Bebauung hochgezogen haben. Eine zusätzliche Landnahme, mit der sie auf eine tödliche Terrorattacke, begangen von einem Palästinenser im April 2002, reagierten. Eigentlich sollte in Absprache mit der Armee an diesem Morgen den palästinensischen Eigentümern und den israelischen Erntehelfern ausnahmsweise ein Zugang gestattet werden. Doch der Sicherheitschef der Siedler, Jossi Zaiv, drängt die Soldaten zu verschärften Bedingungen. Keine angereisten Israelis - "wir wollen hier keine linke Demonstration" - und nur Palästinenser mit Besitzurkunden in der Tasche dürfen rein.

Am Ende tippeln sieben alte Männer und Frauen, auf dem Rücken die Plastiksäcke zum Einsammeln der Oliven, in den Hain. Der Rest muss außerhalb des Gatters bleiben. Ilana, eine israelische Krankenschwester, will dennoch ihren nächsten freien Tag einem Ernteversuch unter rabbinischer Organisation opfern. "Ich bin säkular", sagt sie, "aber für mich ist es wichtig, dass sowohl die Siedler als auch die Palästinenser sehen, dass es Juden mit Kippa gibt, die für ein anderes Israel stehen."

Rabbi Ascherman mobilisiert derweil für den nächsten Großeinsatz, diesmal erneut im Norden, in Ein Abbus, wo Siedler nächtens Olivenbäume abholzen. Was er noch nicht weiß, ist, dass die Täter ihr Werk der Zerstörung bereits fortgesetzt haben. 255 seiner Bäume, so wird der palästinensische Bauer Fausi Hassan Hussein später zählen, sind mit Hilfe von Kettensägen über dem Rumpf abgeschnitten worden. Insgesamt sind dem Kahlschlag 800 Bäume zum Opfer gefallen. Nicht nur die Rabbiner für Menschenrechte können das bezeugen. Auch Ephraim Sneh, ein Abgeordneter der Arbeits-Partei, ist in Ein Abbus dabei. Er werde nicht ruhen, sagt Sneh dem Bauern Hussein, bis Israel diesen Schaden ersetze. Um darauf nicht warten zu müssen, haben die Menschenrechts-Rabbis schon selbst einen Spendenfonds angelegt.<<

quelle:berliner zeitung
 

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
na das ist doch wirklich mal ein schönes weihnachtsgeschenk!

man erinnere sich, diese verweigerung von teilen israelischer streitkräfte gabs vor ein paar monaten schon mal, und trotz druck und repressalien
gibts jetzt nachfolger.
es sind diese, im großen weltgeschehen doch eher "kleinen" ereignisse, die anlass zur hoffnung geben.
veränderungen zum besseren wird es nie von oben, sondern nur von "unten" geben, durch menschen, die sich weigern einfach wider besseren wissens weiter zu funktionieren, menschen, die zeigen, das sie noch ein gewissen haben.

frohes fest!

Wer wagt, gewinnt

jW dokumentiert Brief der 13 Verweigerer an Israels Premierminister im Wortlaut

* Am 21. Dezember 2003 richteten dreizehn Reservisten der Elitekommandoeinheit (Sayeret Matkal) des Generalstabs der israelischen Verteidigungsstreitkräfte folgenden Brief an Premierminister Scharon, in dem sie ihre Weigerung ankündigen, weiterhin in den besetzten palästinensischen Gebieten Dienst zu tun.

http://www.jungewelt.de/2003/12-24/007.php
 

IMplo

Geheimer Meister
22. August 2003
352
Diese Artikel bestätigen mich in meinen gemachten Aussagen zum Thema Israel und Palästina in anderen Threads.

Die Mauer dient nicht zur Verteidigung, sondern bereitet lediglich weitere Vertreibung von Palästinensern in Einheit mit Landnahme vor!!!

Was sagte man nach dem 2. WK?

Landgewinnungskriege sind zu ächten...in Israel läuft der seit 40 Jahren roundabout...

Man sollte all den aufgeführten "Verschwörern" obiger Artikel mal nen Zaun ums Haus ziehen, ihnen das Wasser absperren, den Garten roden und bei Protest das ganze einfach niederreissen und Ausgangssperren verhängen.

Solchen "Hetzern" gönne ich, daß sie einmal erleben, was sie anderen antun!

Greetz!
IMplo
 

HassanISabbah

Geheimer Meister
11. Oktober 2004
137
Ihr seid Terroristen, wir sind die Guten
von Yitzhak Laor
London Review of Books 17.08.2006

In dem melodramatischen Sperrfeuer, dem die Presse uns aussetzt, spielt die Armee gleichzeitig die Rolle des Helden und die des Opfers. Und der Feind? In den hebräischsprachigen Programmen ist die Formulierung immer gleich: auf der einen Seite 'wir', 'unser', 'uns'; auf der anderen 'Nasrallah' und 'Hezbollah'. Libanesen kommen in diesem Krieg scheinbar gar nicht vor. Also: Wer stirbt im israelischen Feuer? Hezbollah. Und wenn man nach den Libanesen fragt? Dann lautet die Antwort immer, dass Israel mit dem Libanon keine Differenzen hat. Das verdeutlicht noch einmal unsere Einseitigkeit, den jahrelangen, donnernden israelischen Schlachtruf: Egal was um uns herum passiert, wir haben die Macht, und darum setzen wir unsere Logik durch.

Keine Institution in Israel kann es mit der Armee aufnehmen, wenn es darum geht, Bilder und Nachrichten zu verbreiten, oder eine nationale politische Klasse und eine akademische Elite herauszubilden, oder die Schaffung von Erinnerung, Geschichte, Werten, Wohlstand und Bedürfnissen zu bewerkstelligen. So wird die Identifikation zementiert: nicht durch Diktatur, nicht durch drakonische Gesetze, sondern weil die mächtigste Institution des Landes jeden Bürger in Beschlag nimmt, sobald er 18 wird. Die meisten Israelis identifizieren sich mit der Armee, und diese revanchiert sich, indem sie unsere Identität festigt, besonders dann, wenn sie bzw. wir gerade Krieg führen.

Das militärische Denken ist unsere einzige Denkungsart geworden. Der Wunsch nach Überlegenheit hat sich in die Notwendigkeit gewandelt, die Oberhand zu haben - in allen Aspekten der Beziehungen zu unseren Nachbarn. Die Araber müssen klein gemacht werden, sozial und ökonomisch, man muss sie militärisch zerschmettern - und dann müssen sie uns natürlich als jene heruntergekommenen Gestalten erscheinen, zu denen wir sie erst gemacht haben. Wir sehen die Araber durch die Augen unserer Geheimdienste, die ihr [der Araber] Verhalten 'übersetzt' und interpretiert; aber wir erkennen sie nicht als menschliche Wesen an.
Ganzer Artikel hier:

http://www.zmag.de/artikel.php?id=1897

Yitzhak Laor, geboren 1948 in Pardes Hanna, lebt heute in Tel Aviv. Er ist Dichter, Bühnenautor, Romancier und Essayist. 1972 verweigerte er den Armeedienst in den besetzten Gebieten. Seine Gedichte, in denen er den Krieg im Libanon verurteilte, und seine Romane wurden von der Kritik begeistert aufgenommen, doch weigerte sich Ministerpräsident Yitzhak Shamir 1990, Laor den Poesiepreis des Ministerpräsidenten, den er gewonnen hatte, zu überreichen. 1992 erhielt er den Bernstein-Poesiepreis, 1994 den Israelischen Literaturpreis.
 

luisz

Geheimer Meister
29. April 2004
370
teile seiner aussagen wurden im übrigen von israelischen offiziellen als antisemitisch abgetan..
 

luisz

Geheimer Meister
29. April 2004
370
ich habe jetzt lange gesucht und nichts gefunden, ich glaube ich habe bei spiegel-online einen artikel dazu übrflogen, aber irgendwie ist deren suchmaschine ziemlich schlecht, jedenfalls erinnere ich mich noch an die textpassage in der es hieß:
'Yitzhak Laor bediene sich der üblichen antisemitischen Klischees'

Das war Teil eines Kommentares israelischer Seite.

edit: nichtmal mehr über google finde ich auch nur eine einzige pressemeldung dazu, sorry so wird das wohl weiterhin im raum stehen, ich find einfach den artikel nicht mehr.
 
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