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Rache statt Religion

osiris1806

Geheimer Meister
20. August 2002
273
Nahost

Rache statt Religion

Die Motive palästinensischer Extremisten haben sich geändert
Von Heiko Flottau




(SZ vom 1. August 2002) - Issa Abu Aram ist ein kleiner, eher unscheinbarer Mann. Doch Abu Aram hat ein bedeutendes Amt inne. Er arbeitet in einer palästinensischen Behörde, die sich „Vorbeugende Sicherheit“ nennt. Bevor die Israelis Ende März autonome Palästinenser-Städte besetzten, kooperierte die Behörde mit Israel. Eines der gemeinsamen Ziele war die Verhinderung von Selbstmordattentaten.

Abu Aram hat acht Landsleute, die gefasst wurden, kurz bevor sie einen Anschlag verüben konnten, nach ihren Beweggründen gefragt. Er nennt drei Motive: „Erniedrigung, Erniedrigung und abermals Erniedrigung.“

Manchmal müssten sich palästinensische Frauen an israelischen Kontrollposten entkleiden. Es komme auch vor, dass Männer gezwungen würden, Frauen in aller Öffentlichkeit zu küssen – in der arabischen Gesellschaft ist das verpönt. Manchmal gingen die Schikanen so weit, dass zu bestimmten Zeiten alle Palästinenser mit Namen Mohammed nicht passieren dürften, berichtet Abu Aram. Viele Frauen hätten an Kontrollposten gebären müssen, weil israelische Soldaten ihnen die Passage zum nächsten Krankenhaus verwehrt hätten.

Selbstmord als Kulturphänomen

Diese Schikanen hätten dazu geführt, dass Selbstmordattentate in der palästinensischen Gesellschaft zu einer „Kultur“ geworden seien. Diese Kultur sei nicht nur bei den Islamisten, sondern in allen Gesellschaftskreisen zu finden, sagt Abu Aram.

Selbstmordattentäter werden in der palästinensischen Gesellschaft immer mehr verehrt – und zwar nicht nur von den Islamisten. Mütter lassen sich vor der Tat mit ihrem Sohn fotografieren, der in den Tod ziehen will. Die Menschen zitieren arabische Literatur, Gedichte, Sprichwörter, die von arabischen „Märtyrern“ sprechen.

Palästinenser wollten nicht mehr nur die Duldenden sein, hat Abu Aram in seinen Befragungen erfahren. Sie wollten zu „Handelnden“ werden. Gewalt erzeugt Gegengewalt. So hatte der Gründer der radikal-islamischen Hamas, Scheich Achmed Jassin, am 22.Juli ein Ende der Selbstmordanschläge in Aussicht gestellt. Als die Israelis einen Tag später den Militärchef der Organisation, Salach Schehade, in seinem Haus in Gaza-Stadt liquidierten, zog Jassin sein Angebot zurück.

Früher habe Hamas manchmal sechs Monate auf einen Freiwilligen warten müssen, der zu einem Attentat bereit war, sagt Abu Aram. Er ist überzeugt: „Wenn Hamas heute genügend Sprengstoff hätte, könnten die Islamisten und andere Gruppen 100 Freiwillige pro Tag anheuern.“

Rache für Schikanen

Aram nennt Beispiele: „Ich sprach mit einer jungen Akademikerin. Sie war sehr liberal eingestellt. Sie wollte ein Selbstmordattentat ausführen, weil sie an einem Kontrollposten erniedrigt worden war. Sie war besessen von der Idee der Rache.“ Ein 18-jähriger Junge, berichtet Abu Aram weiter, habe keinerlei Interesse am „Eingang ins Paradies“ gehabt. „Er wollte seinem Volk etwas geben. Er dachte, er solle sterben, damit sein palästinensisches Volk leben könne. Ihm war es egal, von wem er eine Bombe bekommen würde.“ Eine andere junge Frau habe einfach Rache nehmen wollen: „Sie war gezwungen worden, sich an einem israelischen Kontrollposten nackt auszuziehen.“

Zunehmende Verarmung

Ein weiterer Faktor für die wachsende Verzweiflung der Palästinenser ist die zunehmende Verarmung. Schon hat es erste Hungerproteste gegeben – etwa in Hebron und in Bethlehem. Einige Menschen trugen ein Plakat mit der Aufschrift: „Wenn ihr wollt, dass ich Palästina befreie, gebt mir zunächst einen Sack Mehl.“

Aus Armut wächst Verzweiflung. Wer nichts mehr zu verlieren hat, opfert auch sein Leben. An Mauern in Bethlehem finden sich Aufschriften der einst marxistischen „Volksfront zur Befreiung Palästinas“: „Hüte Dich vor dem natürlichen Tod. Bruder, wenn Du stirbst, dann ist es besser, Du stirbst durch die Kugel des Feindes.“

Abu Aram kann diese weit verbreitete Stimmung nur bestätigen. „Zu mir kam ein Geschäftsmann, der durch die Kontrollposten am Reisen gehindert ist. Und es kam ein Professor, der nicht zu seiner Universität zum Unterrichten gehen konnte. Beide waren so verzweifelt, dass sie mit dem Gedanken spielten, Selbstmordattentate auszuführen.“

quelle: https://www.sueddeutsche.de/index.php?url=ausland/politik/49503
 

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