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Wer trauern darf, kann in die Zukunft blicken

samhain

Ritter Rosenkreuzer
10. April 2002
2.774
mmh, ich habe überlegt, ob das thema hier richtig ist, oder nicht eher in's politikforum gehört, aber da es hier in erster linie um verdrängtes trauern geht, stell ich es mal hier rein.

ich finde den folgenden artikel sehr interessant bzw. das tabuthema an das sich dieser Jörg Friedrich rantraut.

wie ist eure meinung dazu?


Das Recht fällt nicht vom Himmel

Wer trauern darf, kann in die Zukunft blicken: Jörg Friedrich sprach in der Urania über den Bombenkrieg gegen Deutschland

Andreas Krause

Jörg Friedrichs Buch "Der Brand" ist seit langem die erste Darstellung, die sich dem Leid der Deutschen unter den Luftangriffen der Alliierten aus der Perspektive der Opfer widmet. Die Auslöschung von 162 deutschen Städten, die Tötung von 500 000 Zivilisten, die Jagd auf Flüchtlingsströme aus dem Osten hatte bislang keinen Ort im historischen Gedächtnis. Friedrich greift auf, was Gegenstand des Flüsterns war, der Träume und der persönlichen Gespräche. Seit zwei Monaten lösen sich die Zungen. So war es in dieser Woche, als Jörg Friedrich in der Urania sprach. Gebannt und zustimmend lauschte das Publikum und bedachte den Redner mit Applaus, eine Stimmung wie vielleicht 1989 oder 1946. Das Gefühl: Hier wird verhandelt, was die Deutschen unmittelbar angeht.
Friedrichs Thema hätten viele bis vor kurzem anstößig gefunden, seine Vokabeln deplatziert, sein Fazit reaktionär. Die Kritiker stoßen sich an Begriffen wie "Einsatzgruppe", "Massaker" oder "Vergasung". Friedrich sagt: "Sie können die Wörter austauschen. An meinem Buch ändert das nichts. Aber dahinter steht, dass all diese Formen des totalen Krieges bei uns besetzt sind mit der Barbarei des deutschen Menschen, der diese ,Selbstverwirklichungsformen’ gepachtet habe. Das ist wohl doch ein Irrtum."

Der Bombenkrieg ist für Friedrich eine präzedenzlose, unvergleichliche, einzigartige Erfahrung. Dass die Deutschen gegen Hitler hätten aufgebracht werden sollen, lässt er nicht gelten. Die Amerikaner hätten durchaus bemerkt, wie die Volksgemeinschaft im Luftkrieg zusammenrückte und die NSDAP für die nötige Disziplin sorgte: "Wenn am Rhein die Bomber kommen, werden in Hannover Stullen geschmiert. Der totale Staat bewies in der ,zweiten Machtergreifung’ seine Notwendigkeit - als Herr des Verfahrens danach." Die meisten Deutschen hätten statt der Kapitulation die Vergeltungswaffe ersehnt, als sei das Sterben des einen Volkes nur zu lindern durch das Sterben des anderen. Die Furie Krieg herrschte auf beiden Seiten. "Die bombende Seite sah sich als Vollstrecker der gerechten Sache, sie meinte, dass alle Mittel geheiligt werden, die die gerechte Sache zum Sieg tragen."

Die größte Zerstörung fand in den letzten Monaten des Krieges statt, als das Bombardement längst keine kriegsentscheidende Funktion mehr hatte. Bombenkrieg - das war die Zerstörung der mittelalterlichen Städte der Deutschen. Es war auch die größte Bücherverbrennung aller Zeiten. Wie konnte man das wollen? Friedrich: "Das Tausendjährige Reich hatte die deutsche Geschichte beschlagnahmt und sich als ihr Resultat ausgegeben. Infolgedessen wurde, das ist meine starke Vermutung, ein Krieg gegen die geschichtliche Wurzel dieser Nation geführt. Man meinte, dass das deutsche Volk eine Fehlentwicklung genommen habe. Deswegen auch der Morgenthau-Plan: ,Wir machen aus Deutschland ein Agrarland’."

Wie geht man mit einer solchen Erfahrung um? Das Schweigen, so Friedrich, hat jahrzehntelang seinen Zweck erfüllt, das Tabu hatte eine Funktion. Im Vordergrund stand die Versöhnung mit den Gegnern und der alle Kräfte bindende Wiederaufbau mitsamt seiner Lieblosigkeit gegen die "verfluchten Orte". Wichtig sei heute eine kathartische Vergegenwärtigung. Ein junger Mann fragte, wie der Wahnsinn der letzten Kriegsmonate zum Aufbau der Demokratie passt, zur Menschenfreundlichkeit der Besatzer nach dem Sieg. Gar nicht, sagt Friedrich. Es gelte, das Nebeneinander von Vernichtung und Versöhnung, von Verurteilung und Versorgung zu erkennen. Brandbomber und Rosinenbomber.

Wenn Friedrich den Bombenkrieg ein "Verbrechen" nennt, liegt das Neue, Befreiende in der Trennung des erlittenen Leids vom Schuldgefühl. Der Schriftsteller W. G. Sebald hat noch vor wenigen Jahren ein Buch über den Luftkrieg geschrieben, um die Deutschen auf dem Umweg über ihr Leid an ihre Verbrechen zu erinnern. Der Historiker Hans-Ulrich Wehler fürchtet heute einen deutschen Opferkult.

Friedrich will aus seiner Bewertung keine unmittelbaren Konsequenzen gezogen wissen. Applaus folgt seiner Bemerkung, es wäre doch "völlig idiotisch" gewesen, zu einem Prozess gegen Churchill aufzurufen: "Das haben die Adenauer-Deutschen schon ganz vernünftig gemacht." Auch wenn die Umerziehung nach dem Krieg den Deutschen "das demokratische Bewusstsein angequält hat" sieht Friedrich im Beitritt zur westlichen Staatengemeinschaft die "faktische Amnestie" der Deutschen.

Wenn die Kriegführung mehr über den Krieg als über seine Parteien aussagt, steckt dann auch in den Verbrechen der Wehrmacht noch etwas Anderes als nur die Selbstverwirklichung eines barbarischen Volkes? Generaloberst Reinhard stand als Chef der Heeresgruppe Mitte in Weißrussland. Im Kampf gegen die Partisanen, die er von den Bauern nicht unterscheiden kann, lässt er in einem Dorf jeden zehnten Mann erschießen und steht dafür später vor dem Nürnberger Tribunal. Er sagt: Wenn ich das ganze Dorf mit meinen Jagdbombern von der Luft aus abgebrannt hätte, und die gesamte Dorfbevölkerung wäre gestorben, dann stünde ich ja wohl nicht hier, denn das sind doch die Sachen, die Sie mit unseren Städten gemacht haben. Und da sagt das amerikanische Gericht: "Das gehört hier gar nicht zur verhandelten Sache."

Reinhards Betrachtung wirkt anmaßend. Aber war es maßvoll, den Richtspruch der Sieger auf Dauer zur Grundlage der deutschen Nachkriegsidentität zu machen? Zum Zwecke der radikalen Wandlung wurden bestimmte Aspekte der Wirklichkeit verdrängt. Friedrich mahnte, sich nicht zum Weltgericht aufzuwerfen, indem man aus toten Politikern und Generälen "Verbrecher" macht: "Das ist ein reines Schimpfwort. Was im Zweiten Weltkrieg das Recht gewesen ist und was nicht, ist eine äußerst schwierige Angelegenheit. Die deutschen Generäle haben nämlich in Nürnberg dasselbe gesagt wie Churchill auch. Der Inbegriff des totalen Krieges ist nicht die Konfrontation von Armee gegen Armee, sondern die Konfrontation von Volk gegen Volk."

Keineswegs müsse aus der Einsicht, dass der Bombenkrieg ein Verbrechen war, die Wiederaufnahme der alten Kämpfe folgen. Aber was dann? Ein 1923 geborener Schlesier kritisiert, dass es bis heute keine Luftkriegsordnung gebe. Friedrich widerspricht. Die Luftkriegskonvention, ein Zusatzprotokoll zum Genfer Abkommen von 1949 über Zivilschutz in bewaffneten Konflikten, wurde beschlossen, aber bis heute von den USA, von Russland und Großbritannien nicht unterzeichnet. Zwar sei, so die Lehre aus Nürnberg, ein nicht verbotenes Verbrechen nach allgemeinem Verständnis noch lange nicht erlaubt, trotzdem gelte es, die fehlenden Länder dazu zu drängen, diese Konvention zu unterschreiben: "Die Durchsetzung des Rechtes fällt nicht vom Himmel."

Von Hans-Ulrich Wehler, der an der ungetrübten Selbstkritik der Deutschen festhalten will, weil nur sie uns "zukunftsfähig" mache, hat man eine solche Forderung nicht gehört. Friedrich geht einen anderen Weg. Er sucht die Wahrheit im Krieg, nicht in den Parteien des Krieges: "Der instrumentelle Terror ist auch einem humanistisch gebildeten Staatsmann wie Churchill nicht fremd. Das ist eben die Eigenschaft des Krieges, dass es darum geht sich durchzusetzen. Und ist dieses Ziel erreicht, sind die barbarischen Mittel nicht mehr Bestandteil der Praxis, und der Mann bekommt in Aachen den Karlspreis und nimmt ihn auch noch an. Das ist eine der am fürchterlichsten zerstörten Städte. Denn Churchill war Humanist, nur mit Humanismus gewinnt man keine Kriege."
quelle: berliner zeitung
 

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