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Unsere Vorstellung v. Raum-/Zeit-/Logik: Wissensillusion?

Trestone

Geheimer Meister
12. April 2002
306
Hallo,

trotz aller Umbrüche in den modernen Wissenschaften ist für die meisten von uns das Weltbild unerschüttert. Ja bei den meisten ist der prinzipielle Glaube an wissenschaftlich gewonnene Erkenntnisse nicht kleiner als im Mittelalter der Glaube an religiöse Feststellungen (und auch mir geht es letztlich nicht anders ...)

Dabei werden von der Wissenschaft so phantastische Behauptungen aufgestellt, wie dass man das Alter des Universums mit ca. 10-15 Mrd. Jahren angeben kann.

Ich denke, man muss kein Kreationist sein, um darüber einmal nachzudenken. Wie ist eigentlich die Argumentationskette und Erfahrungsgrundlage, die zu diesen Aussagen führt?

Zunächst gehen wir von unserer eigenen Wahrnehmung aus. Diese findet im hier und jetzt statt und scheint das einzige unmittelbar Gegebene zu sein.

Dann stellen wir fest, dass wir Zugang zu erinnerten Wahrnehmungen haben und dies auch z.T. steuern können.
Dann finden wir eine Ordnung in diesen Erinnerungen und nennen sie Zeit.

Hier stellen wir die These auf, dass wir nur Veränderungen wahrnehmen
(Differenz vorher - nachher), was aber schon für unsere erste Wahrnehmung problematisch ist (was bedeutet hier vorher und wogegen verändert sich was?).
(Nebenbemerkung: Ein riesiges allgegenwärtiges unverändertes Ganzes wäre danach für uns "nichts".)

Ein zweites Ordnungsprinzip der Erinnerungen ist (schwache) Ursache - Wirkung und das berühmte "von nichts kommt nichts". Zu jeder wahrgenommenen Veränderung lässt sich prinzipiell mindestens eine Veränderung vorher finden oder annehmen, die dieser regelmäßig vorausgeht. (Wieder problematisch für erste wahrgenommene Veränderung.)

Analog führen wir auch die logischen Regeln ein.

Betrachten wir das ganze mit klassischer Raum-und Zeitvorstellung, so kann ein Mensch ca. 100 Jahre eigener Erfahrung überblicken und daraus Theorien und Vorstellungen ableiten.
Durch Kommunikation mit anderen Menschen kommen wir vielleicht auf einen Zeitraum von 10 000 Jahren bewußter Erfahrungen.
Vergleichen wir das mit den 2-4 Mrd. Jahren (unbewußter?) genetischer Erfahrung und den oben genannten 10-15 Mrd. Jahren des Universums,
sehen wir, dass wir von etwa einem Millionstel auf das Ganze schließen.

Das war jetzt zeitlich argumentiert, räumlich liegen die Verhältnisse ähnlich.

Und ich vermute, dass wir auch logisch nur einen Bruchteil der Möglichkeiten kennen.

Daher finde ich die Sicherheit, mit der viele an ihr Weltbild glauben, etwas "voreilig", denn wenn man nicht den Menschen für den raum-/zeit-/logischen Mittelpunkt der Welt hält, könnte sich wesentlich anderes doch auch woanders abspielen.
Und immerhin hat uns die Wissenschaft ja schon einige Indizien geliefert, dass das Raum/Zeit/Logik etwas komplexer zu sein scheinen, als wohl die meisten dachten.

Man stelle sich einfach das "Weltbild" eines Lebewesens vor, dass nur 1 sec im Sommer auf unserem Balkon in einem 1 cm großen Würfel lebt und darüber spekuliert, wie die Welt vor 100 Jahren in 100 km Entfernung ausgesehen hat...

Von daher plädiere ich mit Sokrates dafür, wieder stärker zu betonen, was wir nicht wissen, statt vermeintliches Wissen zu sehr zu betonen.

So werden wir auch offener für neue Ideen, die in den letzten 100 Jahren scheinbar weniger geworden sind, vielleicht auch wegen zu festem Glaubens ...

Gruß
Trestone
 

holgercp

Großmeister
1. Mai 2006
96
Naja, nun, ob man das nun gerade auf Sokrates münuzen sollte weiß ich nicht. Bei Sokrates war die Hinterfragung des Wissens eher ein scholastisches Prinzip (ich weiß und bevor jemand mir einen überbrät: Sokrates kannte die Scholastik natürlich nicht).

aber ich meine: Gottchen was wollen wir denn überhaupt mehr. Wir stellen aufgrund unserer Wahrnehmungen Gesetze auf die für unsere Wahrnehmungen gelten. Aufgrund gewisser Sinnesdaten machen wir Aussagen über künftige Sinnesdaten. Wir könnten natürlich 2500 Jahre Philosophiegeschichte an dieser Stelle aufwälzen, aber immerhin zeigt sich ja eine gewisse Praktikablität unseres Wissens. Wir erreichen damit ja einiges.

Generell stimme ich deinen Bedenken natürlich zu.
Wenn wir z.B. (wie viele) "Wissen" als "begründeten, wahren Glauben" definieren, müssen wir uns allemal fragen, was denn nun "wahr" ist bzw. wie man Wahrheit kennzeichnet.
Und dazu müssten wir das Münchhausen-Trilemma überwinden.

Aber die Frage ist ja, ob wir überhaupt wissen müssen, was "wahr" ist, oder ob es nicht ausreicht, ein sehr gut überprüftes Netzwerk von Annahmen zu besitzen, das keine Inkohärenzen aufweist. Das müsste natürlich nichts über die Welt "an sich" aussagen, aber was solls?

Gruß

Holger
 

holo

Frechdachs
27. August 2005
2.712
Nun, das ist doch mal eine Gelegenheit, um diesen Lexikoneintrag zu erwähnen.

Ich wollte mir eigentlich einen Spaß daraus machen und spekulierte, wie lange es braucht, bis das Zeug zerfallen ist. Brav habe ich mich mit den Molmassen an die Halbwertszeiten herangerechnet - und musste feststellen, dass sich unglaubliche Werte zeigen.

Andererseits - in Anbetracht solcher Halbwertszeiten - wäre es denkbar, durch die Masseprozent der auf unserer Erde vorkommenden Isotope auf die "Urmasse" der Urane zu schließen - und damit zu errechnen, wie lange bereits Uran zerfällt - nicht unbedingt auf dieser Kugel, vielleicht auch vor dessen Bildung.
Und damit meine ich nicht nur das 238-er, auch U-235 und Th-232.

Das sagt natürlich nichts über das Alter der Erde oder des Universums aus - aber es muss ja irgendwo entstanden sein - vor sehr langer Zeit. Und ich gehe mal davon aus, dass dieses zu Zeiten des Bestehens unseres Universums geschah.

Aber das sind nur die Gedankenspiele eines Laien - umso mehr bewundere ich solche Leistungen - wenn sie denn stimmen:
http://science.orf.at/science/news/94377

Gruß
Holo
 

holgercp

Großmeister
1. Mai 2006
96
Andererseits - in Anbetracht solcher Halbwertszeiten - wäre es denkbar, durch die Masseprozent der auf unserer Erde vorkommenden Isotope auf die "Urmasse" der Urane zu schließen - und damit zu errechnen, wie lange bereits Uran zerfällt - nicht unbedingt auf dieser Kugel, vielleicht auch vor dessen Bildung.
Und damit meine ich nicht nur das 238-er, auch U-235 und Th-232.

was veranlasst dich zu der annahme, dass die isotope seit beginn des universums existieren? ich bin kein physiker, aber - hmm - das erscheint mir nicht unbedingt einleuchtend.

gruß

Holger
 

holo

Frechdachs
27. August 2005
2.712
holgercp schrieb:
was veranlasst dich zu der annahme, dass die isotope seit beginn des universums existieren? ich bin kein physiker, aber - hmm - das erscheint mir nicht unbedingt einleuchtend.
Mir auch nicht. Deshalb schrieb ich, dass es zu Zeiten des Bestehens entstanden sein sollte. Nicht zu Beginn - aber damit habe ich auch wieder ein Problem mit der Berechnung über das Alter des Universums - es könnte bei solchen errechneten Halbwertszeiten deutlich älter sein ...

Gruß
Holo
 

Hans_Maulwurf

Geheimer Meister
10. Juni 2003
101
holgercp hat folgendes geschrieben:
was veranlasst dich zu der annahme, dass die isotope seit beginn des universums existieren? ich bin kein physiker, aber - hmm - das erscheint mir nicht unbedingt einleuchtend.
Mir auch nicht. Deshalb schrieb ich, dass es zu Zeiten des Bestehens entstanden sein sollte. Nicht zu Beginn - aber damit habe ich auch wieder ein Problem mit der Berechnung über das Alter des Universums - es könnte bei solchen errechneten Halbwertszeiten deutlich älter sein ...

Ich hätte jetzt gedacht das die Materie die beim Beginn des Universums entstanden ist auch schon Zerfallsprodukte enthalten haben müsste -> das Universum also erheblich jünger wäre/sein könnte.
 

holo

Frechdachs
27. August 2005
2.712
Mein Gedankengang ist falsch.
Die Isotope, die den Beginn unserer natürlichen Zerfallsketten bilden, müssen nach dem Urknall entstanden sein.
http://www.mpa-garching.mpg.de/HIGHLIGHT/2001/highlight0105_d.html
Wenn die vielen, komplexen Isotope erst durch die sich bildenden Massen nach dem Urknall entstanden sind, sagt das nichts über eine Zeitspanne aus. Egal, worauf sie sich beziehen möge.

Trestone schrieb:
Von daher plädiere ich mit Sokrates dafür, wieder stärker zu betonen, was wir nicht wissen, statt vermeintliches Wissen zu sehr zu betonen.
Wenn ich mal davon ausgehe, dass Sokrates auf ungeahnte Komplexe hinweisen wollte bedeutet das in erster Linie, das angeeignete Wissen zu nutzen und auszubauen, anstatt sich darauf auszuruhen.

Gruß
Holo
 

Gammel

Geheimer Meister
20. März 2004
134
Re: Unsere Vorstellung v. Raum-/Zeit-/Logik: Wissensillusion

Trestone schrieb:
So werden wir auch offener für neue Ideen, die in den letzten 100 Jahren scheinbar weniger geworden sind, vielleicht auch wegen zu festem Glaubens ...

Wie/Warum kommst du zu dem Schluss, das neue Ideen in den letzten 100 Jahren weniger geworden sind ?!?
 

Trestone

Geheimer Meister
12. April 2002
306
Hallo,

seit Evolutionstheorie, Relativitätstheorie und Quantentheorie hat sich nach meinem Eindruck nicht mehr viel getan und die Philosophie ist ja schon noch länger nicht mehr richtig kreativ...

Bleiben Freddie Mercury und ein wenig Maradona als Lichtblicke...

Gruß
Trestone
 
B

Booth

Gast
Re: Unsere Vorstellung v. Raum-/Zeit-/Logik: Wissensillusion

Trestone schrieb:
Dabei werden von der Wissenschaft so phantastische Behauptungen aufgestellt, wie dass man das Alter des Universums mit ca. 10-15 Mrd. Jahren angeben kann.
Die auf Grund reproduzierbarer Beobachtungen des Weltalls bestehen.
Zunächst gehen wir von unserer eigenen Wahrnehmung aus. Diese findet im hier und jetzt statt und scheint das einzige unmittelbar Gegebene zu sein.
Auf dieser Wahrnehmung beruhen Axiome, die der Wissenschaft zu Grunde legen. Diese Axiome sind auf Grund vielfältiger Beobachtungen sehr schlüssig. Nach diesen Axiomen gehen wir NICHT ausschließlich von unserer Wahrnehmung aus. Theorie- und Experimental-Physik erzänzen sich vielmehr.
so kann ein Mensch ca. 100 Jahre eigener Erfahrung überblicken und daraus Theorien und Vorstellungen ableiten.
Durch Kommunikation mit anderen Menschen kommen wir vielleicht auf einen Zeitraum von 10 000 Jahren bewußter Erfahrungen.
Falsch. Zum einen gab und gibt es nur in den vergangenen 200 Jahren sicher Tausende, wenn nicht gar Zehntausende (oder noch mehr?!) von Physikern, deren Wissen sich gegenseitig überprüft und ergänzt. Wenn Du das mit 30-40 "produktiven" Jahren der Physiker multiplizierst, kommst Du weit in die Millionen hinein. Aber dieser Gedankengang ist letztlich irrelevant im Sinne eines konsistenten Universums.
Vergleichen wir das mit den 2-4 Mrd. Jahren (unbewußter?) genetischer Erfahrung und den oben genannten 10-15 Mrd. Jahren des Universums,
sehen wir, dass wir von etwa einem Millionstel auf das Ganze schließen.
Wobei wir in der Astrophysik hinsichtlich der Zeit die unterschiedlichsten Epochen untersuchen können. Viel interessanter ist eigentlich, daß wir nur ca. ein Zehntel der vermuteten Masse des Universums abzählen können (Stichwort "Dunkle Mateire").

Letzten Endes stellen Deine Aussagen die Konsistenz des Universums in Frage, also das Axiom, daß die Naturgesetze seit kurz nach dem vermuteten Urknall gleich sein müssen. Diese These kannst Du natürlich vertreten, aber es gibt nicht die Spur eines Hinweises, daß diese These zutrifft. Umgekehrt sehen wir Materieansammlungen, die wahrscheinlich vor sehr langer Zeit ihr Licht in unsere Richtigung abgesendet haben, und die dortigen Beobachtungen passen sehr gut in die Theorien, die auch auf unsere astronomische "Nachbarschaft" gut passen.

Oder um es mit Harald Lesch zu formulieren: Wenn die Theorien falsch sind, dann sind sie verdammt gut falsch.

gruß
Booth
 

MadCow

Geheimer Meister
2. Oktober 2002
381
Re: Unsere Vorstellung v. Raum-/Zeit-/Logik: Wissensillusion

Booth schrieb:
Letzten Endes stellen Deine Aussagen die Konsistenz des Universums in Frage, also das Axiom, daß die Naturgesetze seit kurz nach dem vermuteten Urknall gleich sein müssen. Diese These kannst Du natürlich vertreten, aber es gibt nicht die Spur eines Hinweises, daß diese These zutrifft. Umgekehrt sehen wir Materieansammlungen, die wahrscheinlich vor sehr langer Zeit ihr Licht in unsere Richtigung abgesendet haben, und die dortigen Beobachtungen passen sehr gut in die Theorien, die auch auf unsere astronomische "Nachbarschaft" gut passen.
das stimmt nicht so ganz
ein hinweis das unsere naturgesetze vielleicht doch nicht immer gleich waren hat man inzwischen gefunden.
nämlich das entweder die elektronenladung oder die lichtgeschwindigkeit nicht konstant sind.
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/13/13092/1.html
http://science.orf.at/science/news/144408
 
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